Predigt zu Johannes 6,30–35 – Pastor Henning Hinrichs
Liebe Gemeinde,
zu einem guten Start in den Tag gehört ein gutes Frühstück. Ebenso gehört dazu aber genügend Schlaf, und so bestehen die ersten Minuten des Tages an deutschen Frühstückstischen morgens aus einem minutiös austarierten Ablauf. Es wäre doch sehr schön, Zeit zu haben für Obstsalat, Kaffee- und Brotspezialitäten und andere Leckereien, wenn sie nicht so zeitintensiv wären. Also sieht es morgens oftmals recht eintönig aus. Ein typischer Satz ist dann: Och, schon wieder Müsli, schon wieder Brot. Schon wieder, schon wieder, hatten wir doch erst gestern. Abwechslung muss her. Eigentlich sind wir Deutschen doch auch das Land der Bäcker. In kaum einem Land gibt es so viele Brotsorten wie bei uns. Und doch wird in kaum einem Land so viel Brot weggeschmissen. Pausenbrot, liegen gelassenes Brot, verschmähtes und verschimmeltes Brot.
Es gab mal eine Zeit, da hat Brot Leben gerettet... In Israel erzählt man sich sogar, wie bei der 40jährigen Wüstenwanderung, angeführt durch Mose, Brot, Manna, vom Himmel fiel und das ganze Volk satt wurde. Diese Geschichte wurde immer wieder erzählt, und während sie erzählt wurde, wussten die Israeliten, dieses Wunder kann auch uns zugutekommen, weil wir zu Gottes Volk gehören. Davon erzählt diese Geschichte, sie erzählt auch von uns. Gott sorgt für uns, auch jetzt noch. Vielleicht geht man ja dann, wenn man einen Bezug zwischen Gott als dem Geber der Gaben und der Gabe der Nahrung sieht, auch mit Brot anders um, weiß darum, dass es wertvoll ist und nicht verschwendet werden darf.
Aber alles, was erlebt wird, muss eben auch an dieser einen Erfahrung, an dieser einen Erkenntnis gemessen werden. Für Israel: Gott hat damals Manna regnen lassen. Das kann auch starr werden lassen. So wie einem Mann, den ich besucht habe, die Rettung damals im 2. Weltkrieg im Kugel- und Bombenhagel zur Geschichte wurde, die alles andere eingefärbt hatte. Auch 70 Jahre später noch ging er davon aus, dass diese Rettung damals zeige, dass ihm nicht passieren könne. Er sei damals gerettet worden, er werde es immer wieder, fast so, als wäre er wie Siegfried mit Drachenblut umhüllt, als sei er dadurch unbesiegbar durch das Leben. Und so ignorierte er alle Anzeichen einer beginnenden Krankheit, seine Kinder baten ihn oft, flehten ihn an, doch zum Arzt zu gehen, aber er sagt immer wieder, was könne das schon sein. Ihn würde so schnell nichts umhauen.
Kennen Sie die Geschichte von dem Mann während einer Flutkatastrophe? Ein gläubiger Mensch rettet sich während einer riesigen Überschwemmung auf das Dach seines Hauses. Die Fluten steigen und steigen. Eine Rettungsmannschaft kommt in einem Boot vorbei und bietet an, ihn mitzunehmen. „Nein, danke”, sagt er, „Gott wird mich retten.” Die Nacht bricht an, und das Wasser steigt weiter. Der Mann klettert auf den Schornstein. Wieder kommt ein Boot vorbei, und die Helfer rufen: „Steig ein!”. „Nein, danke”, erwidert der Mann nur. „Gott wird mich retten.“ Schließlich kommt ein Hubschrauber. Die Besatzung sieht ihn im Scheinwerferlicht auf dem Schornstein sitzen, das Wasser bis zum Kinn. „Nehmen Sie die Strickleiter”, ruft einer der Männer. „Nein, danke”, antwortet der Mann, „Gott wird mich retten.” Das Wasser steigt weiter, und der Mann ertrinkt. Als er in den Himmel kommt, beschwert er sich bei Gott: „Mein Leben lang habe ich treu an Dich geglaubt. Warum hast Du mich nicht gerettet?” Gott sieht ihn erstaunt an: „Ich habe dir zwei Boote und einen Hubschrauber geschickt. Worauf hast du gewartet?”
Gewartet darauf, dass das passiert, was in der Vorstellung des Mannes passieren sollte und damit blind für das, was jetzt schon passiert. Und manchmal passiert eben neues, manchmal steht eine Operation an, manchmal muss ich erkennen, dass andere Handlungsweisen von mir verlangt werden, eine Veränderung, die jetzt notwendig ist, weil sich das Leben eben verändert hat. Gott hat Manna regnen lassen, Gott sorgt für dich. Aber könnte es nicht sein, dass er auch neue Wege geht. Immerhin ist er freier Gestalter des Lebens, nicht unser Erfüllungsgehilfe.
Im heutigen Predigttext geht es um einen neuen Blickwinkel. Da sprachen sie zu ihm:
Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsre Väter haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 78,24): »Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.« Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Der Glaube an Jesus ist das, was deinem Leben Nahrung gibt, das Brot des Lebens. Dieses Brot geht nicht nur durch den Magen, es erfüllt den ganzen Menschen.
Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Aber wahrscheinlich ist das etwas, das vielen, wie den Gesprächspartnern Jesu auch, erst einmal unverständlich bleibt. Seine Gesprächspartner wollen erst einmal wissen, was denn Jesu übersinnliche Tricks seien. Dann, nachdem Jesus sie an Gottes Kraft verwiesen hat, er ist der Geber aller Gaben, möchten sie sozusagen Jesu Manna haben, ersetzen Moses einfach durch Jesus. Aber auch das ist es nicht. Aber so läuft das ja. Der Mann sitzt auf dem Dach, die Flut steigt, aber er kann nur das denken, hoffen, erkennen, was ihm vertraut ist. Auf das Wirken Gottes in seinem Leben kann er sich aber nicht wirklich einlassen. Und der alte Mann geht auch nicht zum Arzt. Wieso, musste er nie. Eigentlich glauben die beiden nicht, sie erwarten.
Denn Glauben heißt, sich auf das einzulassen, was Gott mit mir und für mich vorhat. Und in dieser Offenheit darauf zu vertrauen, dass mir das zum Guten dient. Dass mir letztlich alles irgendwie zum Guten dient.
Klar, bei den schönen Dingen ist das einfach, aber Glaube bewährt sich, wenn ich es schaffe, auch die schweren Dinge hineinzunehmen in mein Vertrauen in Gott. So wie sich Liebe in einer Ehe bewährt, wenn es hart auf hart kommt. Wenn ich dann merke: Da steht jemand an meiner Seite. Und er bleibt an meiner Seite. Vielleicht anders als erwartet, aber an meiner Seite.
Kristina Vogel gewann olympisches Gold und Weltmeistertitel im Bahnradfahren. Seit einem Trainingsunfall sitzt sie im Rollstuhl. Sie sagt in einem Interview: „Meine Mutter hat immer gesagt: "Gott gibt einem nur so viele Aufgaben, wie man seiner Ansicht nach schaffen kann." Das hat mir in den schwierigen Momenten meines Lebens sehr viel Kraft gegeben. Aber ich persönlich glaube nicht an Gott. Vielleicht ist manches für uns geplant. Dann war vielleicht dieser Unfall mein Schicksal. Und als ich 2009 den ersten schweren Unfall hatte, hat der da oben vielleicht gesagt: "Ich gebe dir noch ein paar Jahre, du hast noch eine Aufgabe." Vielleicht habe ich die erfüllt, und jetzt habe ich eine andere. Es ist sicher schön, wenn man an Gott glaubt: Dann könnte ich mehr darauf vertrauen, dass sich manches so regelt. Das gäbe mir in mancher Stunde mehr Zuversicht, ich bin oft recht pessimistisch.“
Was ich mir wünsche ist, den unsichtbaren Gott in meinem Leben zu sehen. Das ist ein Widerspruch, sicher. Denn ich kann Gott nicht sehen. Das einzige, was ich kann, ist, mir eine Sehhilfe zu verschaffen. Diese Sehhilfe ist Jesus Christus. Ihn kann ich sehen, in den biblischen Geschichten, in seinen Worten und Taten, im Abendmahl als Brot des Lebens. Sein Wirken in den Menschen, die sich von ihm bestimmen lassen, in ihrer Wärme und Hilfsbereitschaft, in ihrer Art, mit den schweren und schönen Dingen umzugehen.
Und dann zu glauben: Jesus Christus macht mich satt, lebenssatt, stillt mir den Durst nach immer mehr, immer besser, lässt mich ganz einfach ankommen. Zufrieden sein mit dem, was ist, lässt mich zugleich das verändern, was fehlt. Glauben.
Es wird immer schwieriger in unserer Zeit, weil so viele das Brot einfach so hinnehmen, weil Dinge und Aktivitäten an die Stelle von Glauben an Gott getreten sind oder weil man eben nur das vor Augen liegt sieht. Aber Dinge und Aktivitäten machen nicht satt. Auch das Volk Israel musste weiter, es regnete nicht täglich Manna, auch sie haben irgendwann wieder gemurrt. Haben es nicht geschafft, wirklich innerlich satt zu werden.
Alles hängt daran, was mich innerlich satt macht, alles hängt am Glauben. An diesem Glauben: Jesus aber spricht zu uns: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Amen.