2. Weihnachtstag (26.12.21)

 

 

Predigt zu Matthäus 1, 18 – 25

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

man kennt sie, die Weihnachtsgeschichten. Vor allem natürlich die aus dem Lukasevangelium mit dem Stall und den Hirten, manche Sätze kann man fast oder vielleicht tatsächlich mitsprechen. Aber auch die Matthäusversion mit den Weisen aus dem Morgenland, der Flucht nach Ägypten kennen viele, und vielleicht sogar den Teil, den wir eben gehört haben: die Geburt Jesu aus der Perspektive von Joseph.

Mit jedem Satz schwingen Erinnerungen mit an gefeierte Feste, an Töne, Gerüche, Hoffnungsfetzen. Die früheren Jahre, öffnen sich wieder. Vielleicht gab es bei Ihnen und Euch ja auch mal so eine Situation, als Sie zur Oma gesagt haben:, oder Ihr habt: „Ach Omi, die Trommel von dir war wirklich mein schönstes Weihnachtsgeschenk.“ - „Tatsächlich?“ freut sich Omi. - „Ja, Mami gibt mir jeden Tag fünf Euro, wenn ich nicht darauf spiele!“  

Oder als Sie sich vielleicht mit Ihrem Nachbarn unterhalten haben. „Ich bin sehr besorgt um meine Frau. Sie ist bei diesem schlimmen Schneetreiben in die Stadt gegangen.“ – „Na, sie wird schon in irgendeinem Geschäft Unterschlupf gefunden haben.“ – „Eben! Darum bin ich ja so besorgt!“

Wie dem auch sei: Die Geschichte ist bekannt, sie wird Jahr um Jahr erzählt, und so kann sie in der ganzen Unsicherheit und dem Trubel und Lärm so etwas wie Ruhe und Frieden bringen, allein dadurch, dass man sie immer wieder erzählt: Bethlehem, der Stall, Maria und Joseph, Engel, Hirten, Weise, das Kind.

Eigentlich ist das erstaunlich – denn diese Geschichte, ob nun von Lukas oder Matthäus erzählt, die Geschichte von der Geburt Jesu ist ja eine Geschichte voller Unruhe, voller Bewegung. Volkszählung, beschwerliche Reisen, Hirten eilen, Engel jubilieren, und selbst hier.

Wer sich in die Rolle Josephs versetzt, merkt, was das alles mit ihm gemacht haben mag: Er will sie nicht in Schande bringen, als er erkennt, dass sie schwanger ihn, ohne dass er etwas dazu getan hatte. Dann die Ankündigung des Retters von den Sünden, die Erfüllung der alten Verheißung.

Und trotzdem so viel Ruhe, Beruhigung, Sicherheit.

Für mich kommt die Geschichte in zwei Momenten zur Ruhe. Als der Engel, genau wie bei den Hirten, seine ersten Sätze spricht: Fürchte dich nicht. In all den Umwälzungen der Zeit sind das die ersten Sätze, die Gott den Menschen vermitteln will: Fürchte dich nicht. In aller Unruhe, die durch die Geburt und im Leben der Menschen herrscht, soll es ruhig werden: Fürchte dich nicht.

Ich möchte diesen Satz hören, nicht nur Weihnachten, so gut das geht – und dann ist es – in der Geschichte jedenfalls und vielleicht ja auch in meinem Leben – für einen Moment still.

Und dann noch einmal:

Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

All die Unruhe, der Zweifel, was passieren wird, wird durch das „Fürchte dich nicht“ und die Verheißung hier in Josefs geradezu folgsame Ruhe überführt. Josef tut das, was er mit jeder ganz normalen Ehefrau tun würde: er ist und bleibt an ihrer Seite, lässt sie das Kind gebären, gibt dem Kind einen, den Namen. Es ist alles gut.

Wie zerbrechlich sind diese Momente des Friedens, wie sehr ist die Ruhe bedroht – durch Gebote von oben und Verbote von innen, durch die Angst vor dem Morgen – oder durch die Erinnerung an das, was man doch alles versäumt oder verloren hat.

Ein paar Tage vor Weihnachten hatte vor Jahren unsere alte Küsterin schon die Krippe in der Kirche aufgebaut. Und täglich kam ein kleiner Jungen an die aufgebaute Krippe mit Maria und Josef und dem Jesuskind. Der Junge murmelte etwas vor sich hin, was ich aber nicht verstehen konnte. Als ich später an der Krippe vorbei ging, fiel mir auf, dass das Kind nicht mehr in der Krippe lag. Am nächsten Tag sehe ich den Jungen wieder vor der Krippe stehen. Als ich näher ran gehe, höre ich, wie der Junge in die zu Maria und Josef sagt: Wenn ich Heiligabend nicht mein rotes Fahrrad bekomme, werdet ihr euer Kind nie wiedersehen!

Ja, unsere Vorstellungen, unsere Wünsche und Sorgen. Manchmal um ein rotes Fahrrad, manchmal um mehr.

Deshalb ist es so wichtig, die Weihnachtsgeschichte zu hören mit diesen Momenten der Ruhe: Fürchte dich nicht, es wird alles gut. Und zu merken: Momente der Ruhe sind unscheinbare, rasch verflogene Momente – und doch sind sie voller Erinnerung – und voller Hoffnung.

Die kleine unscheinbare Stadt Bethlehem – aber aus ihr, so steht es geschrieben, aus ihr soll der große Hirte Israels kommen. Die Geburt des Christus, des Messias – am Rande zwar, auf so seltsame Weise – und doch ein großes Hoffnungszeichen, lange ersehnt: so wie jede Geburt ein Zeichen der Hoffnung ist, ein Moment des Neubeginns. Dieser Augenblick, an der Krippe, vor dem Kind – das ist nur ein einziger, ein kleiner verheißungsvoller Moment, aber ein Augenblick, der uns das Neue überhaupt erst sehen lässt.

„Frieden auf Erden“ ist dadurch noch nicht erreicht, noch lange nicht, aber die Möglichkeit der Freude, der Ruhe und Hoffnung ist wieder in mein Herz gepflanzt und kann wachsen. Fürchte dich nicht. Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, ist es auch nicht das Ende. Selbst wenn alles unübersichtlich ist, die Möglichkeit besteht, dass Unverhofftes geschehen kann.

Wenn ich zurückblicke auf die vergangenen Wochen und Monate, trotz aller Unwägbarkeiten, trotz aller Unruhe und Unsicherheit, entdecke ich diese ruhigen und schönen Momente auch bei mir. Ich hatte in diesem Jahr eine sehr stressige Weihnachtszeit, sehr viele Beerdigungen, Dinge die schief gegangen sind oder unerledigt geblieben sind, Mitteilungen über Erkrankungen von Freunden, aber ich hatte auch diese kleinen unverhofften Momente, in denen ich beschenkt wurde.

Gut, auch seltsames, etwa die Weihnachtspost von Tante Clara: „Lieber Henning, ein frohes Weihnachtsfest wünscht Dir Deine Tante Clara. P.S. Ich hätte Dir gern noch 50 Euro in den Umschlag getan, aber leider hatte ich das Kuvert schon zugeklebt!“

Aber mit den Ruhemomenten, den Verheißungsmomenten der Weihnachtsgeschichte möchte ich in die nächsten Tage gehen.

Ich wünsche Ihnen und Euch für jeden Tag mindestens einen Moment des Beschenktwerdens, solche Augenblicke des Innehaltens und der Verheißung. Denn uns ist der Heiland geboren, das Kind, in Windeln gewickelt, in der Krippe und der Engel sagt zu uns: Fürchte dich nicht. Es gibt Hoffnung. Das ist der Anfang.

Oder wie es Fritzchen mal zu seiner Mutter sagte: „Du kannst die Eisenbahn von meinem Wunschzettel streichen. Ich habe gestern eine im Schrank gefunden.“

Amen.

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