Predigt vom 18.12.21 (4. Advent)

 

 

 

Predigt zu Lukas 1,39–56

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Maria singt: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn … er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

So singt sie, die junge Frau Maria. Sie beginnt harmlos, privat, es ist der Glücksausbruch einer werdenden Mutter. Aber sie bleibt nicht privat. Sie sieht, dass Gott schon vor ihr Menschen beglückt hat, und das auch nach ihr tun wird. Sie steigert sich zu einem kurzen Lobgesang Gottes, der sich aus der Tradition, den Erinnerungen des Volkes nährt und in die Zukunft schaut: Seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten – und wo „fürchten“ in der Bibel steht, meint das nicht etwa Angst vor Gott, sondern eigentlich inneres, tiefes Vertrauen und Ergriffensein vor der größeren Kraft und Macht Gottes.

Und dann geht er los, der regelrechte Schlachtruf jener entrechteten Menschen, die gegen Unrecht und Unterdrückung anhoffen.

Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Das ist die Sprache lodernder Herzen, die Sprache der vom Leben Betrogenen. Man kann ja noch heraushören, worunter sie zu leiden haben. Sie leiden unter verletzenden, überheblichen, anmaßenden Menschen, Menschen, die sie ausbeuten und ihnen unbarmherzig das letzte Brot wegnehmen in einer Welt, die in Arm und Reich, mächtig und machtlos auseinanderfällt.  

Gott dagegen setzt sich für die Zukurzgekommenen ein, er ist barmherzig und kehrt das, was jetzt noch unten ist, nach oben. Und was so überheblich oben steht, stürzt er nach unten.

Nun, die Welt wartet schon sehr lange darauf, dass Gott jene großen Dinge tut, von denen aus der Erinnerung berichtet und die da angekündigt werden für die Zukunft.

Im Privaten kann man das erleben, nicht immer, aber vielleicht könnte jede, jeder hier sogar von Erlebnissen erzählen, die mit Gott und seinem Wirken, ich formuliere es mal vorsichtig, zusammenhängen könnten. Man weiß es ja nicht so genau, es hängt ja doch vom persönlichen Glauben ab, ob ich Gott darin sehen kann, wo Großes passiert ist.

Überlegen Sie mal: Wo ist Großes, Wichtiges in Ihrem, in Eurem Leben passiert? Wo hätte es auch anders, deutlich schlechter laufen können. Wo können Sie, könnt Ihr vorsichtig tastend oder voller Klarheit sagen: Da war (vielleicht) Gott in meinem Leben.

Dazu spielt die Flötengruppe „Den die Hirten lobeten sehre“ (M. Praetorius)

Advent heißt Ankunft: Gott kommt!

Persönlich vielleicht das ein oder andere Mal oder ständig erlebt, aber ist es schon passiert, dass die immer wiederkehrende Dunkelheit unter und zwischen den Menschen endgültig überwunden worden ist?

Es geht ja nicht nur um das persönliche Glückserleben. Es geht um nichts anderes als um die Welt: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.

Manche sagen: Gott? Aber der kommt nicht! Wir sind allein.

So sehr die Poeten des antiken Orients es sich auch gewünscht haben mochten, dass endlich einer käme, der der Unterdrückung ein Ende bereiten möge... - die baldige Hoffnung auf diese Ankunft ist noch nicht erfüllt – oder jedenfalls nicht so wie dort von Maria gesungen!

Advent heißt also: Gott kommt, aber er kommt ganz anders!

Darauf deutet schon die Geburt eines Kindes in erbärmlicher Armut hin. Kein ebenso Gewaltiger, der die Gewaltigen mit gleicher Gewalt vom Thron stürzt. Eher ein ebenso Ärmlicher, dem man in seiner Armut vielleicht gar nichts zutrauen mag.

Und doch kann von jenem kleinen Stall in Bethlehem nicht weniger ausgehen als ein zündend heller Funke gegen die Nacht und alle lähmende Dunkelheit in uns und in der Welt.

Buchstäblich „am eigenen Leibe" sollen und können das auch aufgeklärte Mitteleuropäer erfahren: Gott kommt und richtet sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit auf!

Ich glaube, Marias Lobgesang möchte vor allem eines: Herzen entflammen, Menschenherzen, die sich dieser weihnachtlichen Botschaft verschreiben von Gottes Gerechtigkeit, seiner Liebe und die Erlösung seiner Schöpfung. Und die sich deshalb immer wieder für Gerechtigkeit, für Liebe und für diese Schöpfung einsetzen – im privaten wie in der Gesellschaft -, auch wenn sie noch nicht sehen, dass das alles zum Ziel geführt wird.

Was die meisten Menschen antreibt in ihrem Leben, beschränkt sich nicht – das unterscheidet uns von Tieren - auf Fortpflanzung und Essen und Trinken, auch nicht auf – so wollen es die großen Unternehmen vielleicht einreden - Konsum. Wer nur konsumiert, merkt irgendwann, dass er oder sie mehr braucht. Mehr als Auto, Fernseher, Smartphone, Haus u.s.w.

Das Komische an uns Menschen ist ja, jedenfalls geben das 2/3 der Menschen an, dass wir zu unserer Zufriedenheit einen Sinn für unser Leben suchen und brauchen.

Deshalb setzen sich Menschen für Ziele ein, die weit über ihr eigenes Geschick gehen, auch wenn der Kampf aussichtslos erscheint, der Gegner zu groß ist, und sie die Früchte ihres Einsatzes nicht ernten werden. Weil das Ziel, das erhoffte Ziel gut und sinnvoll ist: für demokratische Wahlen, für Gleichberechtigung, freie Meinungsäußerung, Frieden, Naturschutz, liebevollen Umgang, freie Religionsausübung, auch wenn sie dafür niedergeknüppelt oder ausgegrenzt werden. Weil es etwas ist, dass es zu erwarten und herbeizuführen lohnt. Und weil nur Sinn zufrieden macht.

Etwas neu zu haben, gerade jetzt zu Weihnachten so ein cooles Geschenk, kann vielleicht glücklich machen. Aber Glück ist manchmal nur ein flüchtiger Moment, morgen schon verflogen.

Der Sinn bleibt. Nur was sinnvoll ist, kann Hoffnung in Menschen erwecken und ihn zufrieden in jeden neuen Tag führen.

Was gibt Ihnen und euch Sinn?

Dazu spielt die Flötengruppe: „Zu Beth´lem überm Stall“ – wo Menschen diesen Sinn im Christuskind gefunden hatten.

Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Das ist eine der größten Verheißungen, die nie aufgegeben werden dürfen, wenn man am Boden liegt. Eine Verheißung, die immer wieder gesungen werden muss, auch wenn man ihre Verwirklichung noch nicht sieht und auch nicht selbst, noch nicht einmal ansatzweise erlebten wird: Weil sie sinnvoll und gut ist, weil sie Hoffnung in Menschen erwecken kann.

Gott gedenkt der Barmherzigkeit und hilft.

Gott kommt, um dir zu helfen, um dafür zu sorgen, dass deine Seele nicht zerfranst und unter der Last des Lebens erstickt wird. Und die Last kann ja so übergroß sein.

Der Psychotherapeut Viktor Frankl, der die sogenannte Logotherapie begründet hat, war davon überzeugt, dass der Mensch eine einzigartige Fähigkeit besitzt: Er kann Sinn und deshalb Hoffnung spüren. Daran hielt er auch noch fest, als die Nazis die Macht übernahmen.

Frankl war Jude und in verschiedenen Konzentrationslagern interniert, er überlebte als Einziger aus seiner Familie. Seine Frau, seine Mutter, sein Vater, sein Bruder, alle ermordet.

Nach dem Krieg schrieb Frankl ein Buch: „... trotzdem Ja zum Leben sagen.“ Darin erzählt er von den Lagern und berichtet, wie er jeden Tag aufs Neue versuchte, sich gegen die Selbstauflösung zu schützen: indem er mit den Geschundenen um sich herum umging wie mit seinen Patientinnen.

»Man musste also den Lagerinsassen das Warum ihres Lebens, ihr Lebensziel, bewusst machen, um so zu erreichen, dass sie auch dem furchtbaren Wie des gegenwärtigen Daseins, den Schrecken des Lagerlebens, innerlich gewachsen waren und standhalten konnten«, schrieb Frankl.

Was ist es, das Ihnen, das dir inneren Halt gibt?

Das so stark ist, dass es dich, deine Seele, bewahren kann?

Was ist der Sinn, der die Hoffnung gegen alles wachhalten kann?

Was bleibt, wenn alles sonst fällt?

Es ist Advent. Zeit der Besinnung, vielleicht des Neuentdeckens, Zeit, nach innen zu blicken und die Macht des Vertrauens, der Phantasie, des Glaubens an die Liebe, die Gott ist, neu zu kultivieren, das „Kind in uns hüpfen" zu lassen!

Denn der Herr hat große Dinge an uns getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. (...) Seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihm vertrauen. (...) Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft uns auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern und Müttern (...) in Ewigkeit.

Mehr als „ein Funken Wahrheit" steckt in dieser Verheißung und mehr als bloß ein wenig Erbauung: In dieser Verheißung stecken der Sinn und die Bedeutung der Hoffnung.

Gott kommt! Auch wenn du ihn nicht siehst.

Gott kommt! Er wird dich aufrichten!

Gott kommt! Lebe mit dieser Hoffnung.

Gott kommt!

 

Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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