Predigt vom 31.12.2021

 

 

 

Predigt zu Mt 13, 24 - 30                     

Liebe Gemeinde,

Günther G. gehörte zu jener Art Menschen, dem andere selten etwas zugetraut haben. Das lag sicher an seinen überschaubaren Leistungen. Er mühte sich schon in der Grundschule mitzukommen, die Versetzung auf eine höhere Schulform trauten ihm weder seine Klassenlehrerin noch seine Mutter zu. Sein Vater hatte sich schon sehr früh aus der Verantwortung gestohlen. Wo er gerade lebte, wusste selbst Günther Gs. Mutter nicht, oder sie mochte es ihrem Sohn nicht sagen.

Hatte Günther G. mal Besuch von Schulfreunden, kamen sie selten wieder, wenn sie seine Mutter kennenlernten, die unter dem Druck einer schon früh alleinerziehenden Mutter, der finanziellen und persönlichen Anspannung, jedem und jeder Beleidigungen an dem Kopf warf, wer ihr auch in die Quere kam. Besonders wenn Alkohol im Spiel war.

Nach der Schule hielt sich Günther G. mit Gelegenheitsjobs über Wasser, die er regelmäßig verlor, weil er einmal Geld mitgehen ließ, ein anderes Mal mit einer Flasche Wodka hinter den Lagerregalen gefunden wurde, die Flasche leer, er voll. Oder weil er einfach nicht mehr kam, niemand wusste warum. Was sollte aus dem nur werden?

Diese Frage wurde wieder gestellt, als sich Günther G. auf die Stelle des Hausmeisters in der kirchlichen Jugendeinrichtung in Hürth bewarb. In ihr waren Jugendliche untergebracht, die im Leben nicht zurechtgekommen waren, manche hatten geklaut, andere Drogen genommen oder hatten erlebt, woran man im Leben eben scheitern kann.

Vielleicht erkannte der Pfarrer in Günther G. mehr Qualitäten als die anderen in der Bewerbungskommission, vielleicht war es christliche Romantik des Pfarrers, die wie Jesus auch den Geschundenen und Außenseitern eine neue Chance geben wollte, jedenfalls bekam Günther G. die Stelle.

Es stimmt ja auch. Wenn ich die Bibel überfliege, dann treffe ich auf einen Gott, der ein besonderes Augenmerk gerade auf die richtet, die es schwer im Leben haben. In der hebräischen Bibel sind es die Witwen und Waisen, die auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind. Die Propheten wettern gegen die Reichen, die die Armen auspressen und nur an sich denken. Der fürsorgliche Blick richtet sich auf die Fremden, die nur schwer Anschluss finden. Um sie soll man sich besonders kümmern, ihnen helfen. Denn deren Erfahrungen sind den Israeliten ja nicht fremd, die Israeliten kennen es selbst, was es heißt, alles zurückzulassen und neu anfangen zu müssen.

Ich kann mich noch sehr genau an einen Gottesdienst erinnern, den wir zum Thema Flucht durchgeführt hatten im Jahr 2016, mit einem Interviewgast aus Syrien und einem Reppenstedter, der 1945 aus Ostpreußen fliehen musste. Es waren die gleichen Erfahrungen, da war sofort gegenseitiges Verständnis, Mitgefühl.

Jesus setzt das fort und steigert es noch mit seinem Blick auf die Menschen, die am Rand stehen, nicht nur auf die, die arm und bedürftig sind, die Mühseligen und Beladenen, sondern auch auf die, die in den Augen der Gesellschaft schuldig geworden sind: Zöllner mit ihren dubiosen Steuereinnahmen, Ehebrecherinnen, Verbrecher. Und die eine neue Chance bekommen sollen.

Dazu passt der heutige Predigttext. 

Jesus erzählte der Menge noch ein anderes Gleichnis: »Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Eines Nachts, als alles schlief, kam sein Feind, säte Unkraut zwischen den Weizen und machte sich davon. Als dann die Saat aufging und Ähren ansetzte, kam auch das Unkraut zum Vorschein. Da gingen die Arbeiter zum Gutsherrn und fragten: ›Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt jetzt dieses Unkraut?‹ – ›Ein Feind von mir hat das getan‹, gab er zur Antwort. Die Arbeiter fragten: ›Möchtest du, dass wir hingehen und das Unkraut ausreißen und einsammeln?‹ – ›Nein‹, entgegnete der Gutsherr, ›ihr würdet mit dem Unkraut auch den Weizen ausreißen. Lasst beides miteinander wachsen, bis die Zeit der Ernte da ist. Dann werde ich zu den Erntearbeitern sagen: Reißt zuerst das Unkraut aus, sammelt es ein und bündelt es, um es zu verbrennen; und dann bringt den Weizen in meine Scheune!‹«

Dieses Gleichnis antwortet auf die Frage, warum es eigentlich nicht nur gute Menschen gibt. Das wären in diesem Sinne die Menschen, die an Gott glauben und nach seinen Geboten leben. Weil es einen Feind Gottes gebe, der das Schlechte in Menschen sät. Als Person der Teufel oder als Antrieb im Menschen seine eigennützigen und aggressiven Bedürfnisse. Nicht alle Menschen handeln gut, sind gut. Diese Erfahrung macht ja jede, jeder. Warum lässt Gott das aber zu?

Weil die Gefahr bestehe, mit den Schlechten auch die Guten zu treffen, deshalb lasse Gott die Guten, die Bösen und die Miesen nebeneinander leben. Die Aufteilung, die Abrechnung komme dann mit der Ernte, mit dem Endgericht, wo dann wie in der Ernte, der gute Weizen in die Scheune gelagert wird, also die Guten ins Reich Gottes kämen, das Unkraut aber verbrannt wird. Himmel oder Hölle kämen eben erst am Ende. Gott denkt in diesem Gleichnis praktisch.

Für viele in der Bewerbungskommission war klar, auf welche Seite Günther G. gehörte. Alkohol, Diebstahl, Unzuverlässigkeit – was brauchten sie mehr für ein klares Urteil! Aber ich kann den Pfarrer verstehen, dass er Günther G. eine weitere Chance geben wollte. Für ihn war nicht klar, auf welche Seite Günther G. denn gehörte.

Und vielleicht möchte Jesus ja auch nicht die Menschen dazu bringen, zu entscheiden, wer nun Weizen und wer Unkraut ist. In einem anderen Gleichnis wird ein Feigenbaum erst einmal nicht abgehauen, obwohl er keine Frucht bringt, ihm wird noch Zeit gegeben. Und wenn wirklich alles seine Zeit hat, selbst hassen und lieben, vielleicht kann man dann auch gar nicht sagen, dass eine Beurteilung in der Zeit eines Menschen gefällt wird, sondern wenn überhaupt nur am Ende. Und schon gar nicht von uns hier und jetzt.

Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet, hat Jesus gesagt. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? (Mt 7,1.3)

Dieses Entweder-oder, „Wer bin ich: Weizen oder Unkraut?“ ist vielleicht schon die falsche Frage. Vielleicht sagt ja noch nicht einmal Gott, der es ja wissen muss: Du bist Weizen und gut, du bist Unkraut und schlecht.

Und so bekam Günther G. die Anstellung. Und in den ersten Wochen ging auch alles gut. Er kam pünktlich, erledigte seine Aufgaben zuverlässig und genau.

Und dann fehlten plötzlich 150 €.

Jemand hatte den Schreibtisch im Büro aufgebrochen. Die Tür zum Büro war aber nicht beschädigt. Es musste jemand gewesen sein, der einen Schlüssel zu dem Raum hatte, der Sekretär, der Pfarrer und eben der Hausmeister, Günther G. Den Pfarrer verdächtigte niemand. Den Sekretär auch nicht, aber hatte der Sekretär evtl. vergessen, die Tür abzuschließen, so dass einer der Jugendlichen Zugang bekommen konnte? Nein, niemals, das sei ihm noch nie in 15 Jahren passiert.

Und Günther G.?

Man fand bei ihm nichts, nur ein paar Wodkaflaschen, aber der Zweifel war gesät. Der Pfarrer hielt weiter zu ihm, aber man konnte bei den anderen merken, wie sie ihn schräg anschauten, vorsichtig und ablehnend wurden. Vielleicht war er es ja doch. Würde ja passen. Alkohol, Diebstahl, Unzuverlässigkeit.

Weizen oder Unkraut, was bist du?

Das ist die falsche Frage, liebe Gemeinde. Kaum etwas ist so gefährlich wie eine zu frühe Festlegung. Gott legt sich in dem Gleichnis zwar fest, aber eigentlich nur darüber, dass es Menschen gibt, die an Gott glauben und nach seinen Geboten leben, und solche, die das nicht tun. Und dass am Ende diese Unterscheidung offenbar wird und dann Konsequenten hat. Aber weiter geht die Festlegung nicht. Sie bleibt allgemein.

Und dann gibt es, wie jeder Botaniker weiß, auch noch die Pflanzen, die für manche Unkraut, für andere Kräuter sind, die gar nicht so genau zuzuordnen sind. Für die einen Unkraut, für die anderen ein Heilmittel. Vielleicht bleibt ja zwischen dem Weizen, wenn man die Kräuter auch aberntet, gar nicht so viel Unkraut übrig. Man muss sich halt nur auskennen mit den Pflanzen wie mit den Menschen.

Die Ablehnung mancher Menschen erfolgt ja oftmals nur, weil man zu wenig weiß über den oder die andere. Da wäre sonst vermutlich viel mehr gegenseitiges Verständnis, Mitgefühl.

Eines nachts schreckte Günther G auf. Es lag ein seltsam scharfer Geruch in der Luft, der ihn an seine Kindheit erinnerte, an die Momente, wenn seine Mutter im Rausch mal wieder Liebesbriefe von Verehrern, aber auch Pappe oder anderes einfach so mitten in der Wohnung im Spülbecken verbrannte. Sie verbrannte und verbrannte… Feuer! In der Jugendeinrichtung musste es irgendwo Feuer geben, wurde ihm klar. Es brannte und anscheinend hatte es noch niemand gemerkt…

Ein paar Stunden später stand der Pfarrer vor Günther G. Der Pfarrer überlegte kurz, ob Günther G. wohl das Geld geklaut hatte. Aber das war jetzt nicht so wichtig. Ohne Gs. Einsatz hätte es sehr großen Schaden gegeben, vielleicht sogar Menschenleben gekostet. Günther G. war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte das Richtige getan. Darauf kam es an.

Seltsam. Alles hat seine Zeit. Und dass sie Günther G. eingestellt hatten, war die Rettung für die Einrichtung und vielleicht auch für einige Jugendliche. Vielleicht hätte auch ein anderer eingestellter Hausmeister das Feuer erkannt, aber auch das war jetzt nicht wichtig. Günther G. jedenfalls hatte es aus irgendeinem Grund erkannt.

Sollte wohl so sein. Wer hätte das gedacht. Auch den Pfarrer überraschte Gott doch immer wieder.

Amen.

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