Christnacht (24.12.21)

 

 

 

Predigt zu Titus 2, 11 - 14

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde in der Heiligen Nacht,

am wichtigsten und aufregendsten Abend im jüdischen Festkalender, dem Pessachabend, fragt ein Kind die anwesenden Eltern: „Was unterscheidet denn diese Nacht von allen anderen Nächten des Jahres?“ Und über den Tisch müssen dann die Erwachsenen und die Alten den ganzen       Abend Rede und Antwort stehen. Und dabei müssen sie von Adam und Eva bis zu Mama und Papa erzählen, aber auch von Kain und Abel bis zu den jüngsten Verbrechen, alles, was zu ihrer Geschichte, zu ihrer Kultur und Religion gehört und wie sie es heute Abend sehen und was das mit Gottes Rettungstat damals vor tausenden von Jahren zu tun hat.

Wenn wir diese sogenannte „Mahnischtanah“- Tradition für Heiligabend übernehmen wollten, würden Kartoffelsalat und Würsten, oder Gans oder was auch immer heute auf den Tisch gekommen ist, kalt werden. Es gäbe so viel zu erzählen.

Und es wäre auch ein nicht ganz einfacher Abend.

Wenn ich nur daran denke, was für unterschiedliche und was für widersprüchliche Erwartungen alleine Sie, jede und jeder Einzelne heute Abend, was für unterschiedliche Gefühle, Enttäuschungen und Hoffnungen wir alle mit zum Heiligabend-Gottesdienst hierhergebracht haben. Kinderherz und Elternerschöpfung, jugendlicher Überdruss mit der Familie und ihren ewig gleichen Ritualen, Großelternhoffnung, dass es dieses Jahr wieder einmal richtig schön wird im Kreis der Familie, ganz so wie früher, Besuchserwartung und Gewissensbisse: Wen haben wir vergessen, wer ist heute Abend ganz alleine? - usw.

„Was unterscheidet denn diese Nacht von allen anderen Nächten des Jahres?“ - Und ich ertappe mich dabei zu sagen: Nichts.

Es ist wie im letzten Jahr: Virus, Kontaktbeschränkungen, Vorsicht, kleine Gruppen usw. O.k., wir sitzen jetzt in der Kirche, aber sonst?

Sonst war es doch so, dass die Wiederholung des Weihnachtsfestes die Veränderungen im eigenen Leben wieder geerdet hat, einen sicheren Rahmen geben konnte für all die Unwägbarkeiten. Jetzt ist es so, dass die jährliche Wiederholung des Weihnachtsfestes der jährlichen Wiederholung der Corona-Situation entspricht. Überall nur Wiederholung. Das Leben steht still.

 „Was unterscheidet denn diese Nacht von allen anderen Nächten des Jahres?“

An diesem Punkt merke ich, wie diese Frage nicht nur von meinem Erleben abhängig ist, auch wenn das so sehr oben auf liegt, sondern dass ich zulassen muss, dass diese Nacht eine Botschaft hat. Eine Botschaft, die gerade mich und Sie und Euch treffen will, wenn da das Gefühl ist, es sei alles nur eine ständige Wiederkehr des Gleichen, Veränderung, Verbesserung mithin nicht möglich, wenn das Leben in dem Gefühl gelebt wird: der Karren steckt im Dreck. Und dass diese Botschaft den Unterschied macht.

Die Erwachsenen erzählen den Kindern am Pessachabend ja nicht nur von den eigenen Erlebnissen oder denen der Familie, sondern was sie mit dem einen Ereignis zu tun haben, dem einen Rettungserlebnis in Ägyptenland.

Paulus beschreibt es im Predigttext an seinen Schüler Titus so: Denn ´in Christus` ist Gottes Gnade sichtbar geworden – die Gnade, die allen Menschen Rettung bringt. …Er ist es ja, der sich selbst für uns hingegeben hat, um uns von einem Leben der Auflehnung gegen Gottes Ordnungen loszukaufen und von aller Schuld zu reinigen und uns auf diese Weise zu seinem Volk zu machen, zu einem Volk, das ihm allein gehört und das sich voll Eifer bemüht, Gutes zu tun.

Es geht um Rettung in dieser Nacht.

Für Paulus war es die Rettung aus einer gestörten Beziehung zu Gott hin zu einem wieder erstarkten, jetzt beständigem Verhältnis: Gott werde die Gläubigen zu seinem Volk machen, zu einem Volk, das ihm allein gehört und das sich voll Eifer bemüht, Gutes zu tun.

Wenn Paulus von Auflehnung gegen Gott spricht, meint er nicht nur offenen Unglauben oder einzelne böse Taten. Es geht ihm um die grundsätzliche Trennung von Gott, die hinter all unseren Bedürfnissen und Bemühungen, hinter unseren Fehlgriffen und unserem Leiden steht. Es geht ihm um unser grundsätzliches Unvermögen, ganz im Sinne Gottes zu leben, diesem Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Lukas 10,26-27) nicht voll und ganz folgen zu können.

Und das betrifft jeden Menschen, nicht nur den Atheisten oder Kriminellen.

Alles, was wir anrichten oder was uns belastet, sieht er begründet in dieser Trennung von Gott. Wir sind herausgefallen aus der lebenswichtigen Beziehung zu Gott. Menschen, die nicht mehr im Paradies leben können und alles erleben müssen, was außerhalb des Paradieses eben begegnet. Ein Blick auf die Welt von heute, ein Blick auf das, was wir zu tragen haben, reicht ja, um zu verstehen, was Paulus meint.

Die Weihnachtsbotschaft aber macht den Unterschied!

Denn ´in Christus` ist Gottes Gnade sichtbar geworden – die Gnade, die allen Menschen Rettung bringt und sie zu seinem Volk macht.

Für Paulus gehören wir mit Christus zu Gott. Das ist der Unterschied. Wir sind sein Volk, dem er Rettung schenkt.

Und wie in der jüdischen Tradition ist es wichtig, sich dessen bewusst zu machen. Man könnte es ja sonst leicht vergessen in der jährlichen Wiederholung des Gleichen und Gleichen.

Was wäre denn, wenn ich das in dieser Heiligen Nacht und morgen und übermorgen mal ernst nehmen würde: Ich bin schon gerettet. Ich gehöre wieder zu Gott!

Es würde den Verlauf der Pandemie nicht verändern, ich müsste mir weiter die Wiederholung diktieren lassen, weiter mein Päckchen tragen, aber ich würde es mit einer anderen Haltung, einer anderen Gewissheit tun. Der Gewissheit desjenigen, der weiß, zum Guten geführt zu werden, mag es auch durch Täler hindurch gehen.

Und das ist gar nicht nur etwas Passives.

Es geht Paulus auch darum, sich durch Gott aktivieren zu lassen.

Die Gnade Gottes erzieht uns dazu, … solange wir noch hier auf der Erde sind, verantwortungsbewusst zu handeln, uns nach Gottes Willen zu richten und so zu leben, dass Gott geehrt wird. Seine Gnade führt auch dazu, dass wir voll Sehnsucht auf die Erfüllung der Hoffnung warten, die unser höchstes Glück bedeutet: das Erscheinen unseres großen Gottes und Retters Jesus Christus in seiner ganzen Herrlichkeit.

Der Glaube an die Weihnachtsbotschaft ist eine Erziehung der Herzen, Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben und sich selbst zu lieben. Und dann passiert es auch. Und wenn das passiert, verwandelt sich dieser Ort voller Wiederholungen, Bosheiten oder Bemühungen in einen wunderschönen Ort. In dem Moment wird das Paradies zurückgeholt, wird sichtbar, worauf diese Rettung zielt.

Vielleicht verschwindet es wieder, flackert nur für einen kurzen Moment auf, aber wer das Paradies erhascht hat, in dem oder der lebt die Sehnsucht und der oder die versucht es wieder, versucht es wieder, Gott zu lieben, und den Nächsten, und sich selbst.

Und dann tut sich das Paradies wieder auf. Die schönste Wiederholung überhaupt.

Wir sind ja Gottes Volk. Wir wissen es doch schon. Diese Botschaft macht den Unterschied: Liebe!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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