Gottesdienst Predigt 02.06.2019

Predigt zu Epheser 3,14–21 - Pastor Henning Hinrichs

 

 

 

 

Liebe Gemeinde,

vor ein paar Wochen ging das Ergebnis einer Studie durch die Presse, die perspektivisch aufgezeigt hat, dass sich die Mitgliederzahl der evangelischen Kirche bis 2060 halbiert haben wird – jedenfalls, wenn sich die gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozesse so weiter fortsetzen. Niemand weiß das natürlich, vielleicht werden in Zukunft auch wieder deutlich mehr Kinder geboren, leben die Menschen noch länger, treten irgendwann weniger aus der Kirche aus – in Reppenstedt sind es jährlich ca. 30 Personen. Dann kann es auch anders aussehen in gut 40 Jahren. Aber es kann eben genau so sein. In 40 Jahren in Reppenstedt wären dann von den vielleicht 8000 Einwohnern nur noch 1500 oder 1600 in der Kirche. Das reicht nicht mehr für eine Pfarrstelle, die Diakonenstelle wäre schon lägst weggekürzt. Oder beide würden Reppenstedt und Kirchgellersen versorgen müssen.

Man kann jetzt natürlich die Haltung haben: Ach, da leben wir ja schon längst nicht mehr, nach mir die Sintflut. Oder ich würde mit dann 93 Jahren vielleicht in einem Altenheim wohnen, und mich freuen, wenn der Pastor zur Bibelstunde vorbeikommen …ach nein, das würde vermutlich wegfallen, wie soll einer auch dann 8 Pflegeheime in der Samtgemeinde versorgen! Was wird unser Weg sein? Wie wird es aussehen, wenn die treuen Älteren hier nicht mehr sitzen und die Jungen nicht mehr nachkommen? Was wird dann evangelisch sein in unserem Ort? Wie wird es sein, wenn die immer Engagierten, die sich ins Zeug legen für ihre Kirche, nicht mehr können?

Diese Fragen passen zum heutigen Sonntag. Es ist der Sonntag „Dazwischen“, zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten, der Sonntag zwischen dem Abschied vom Sohn an Christi Himmelfahrt und Pfingsten, an dem Gott in seinem Geist in die Menschen fährt. An diesem Tag dazwischen ist alles unsicher. Die Jüngerinnen und Jünger hatten nur eine Verheißung: Ich werde euch einen Tröster schicken, sagte Jesus, den Geist der Wahrheit. Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein bis an die Enden der Erde.

Aber wie das immer so ist mit Verheißungen – man weiß eben noch nicht, ob sie sich bewahrheiten. Ein Restzweifel bleibt und zwischen den Zeiten zu leben bleibt schwer, besonders wenn alles so düster aussieht. Zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten spricht Paulus ein Gebet für die Gemeinde in Ephesus, und angesichts der aktuellen Perspektivstudie höre ich diese Worte, als wären sie schon damals an uns gerichtet:

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid. So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Es ist schon manchmal wirklich entmutigend, wenn wieder eine Austrittsmitteilung auf meinem Schreibtisch landet. In den ersten Jahren habe ich das sogar oft persönlich genommen, so als wenn Menschen immer aus der Kirche austreten wegen meiner schlechten oder trotz meiner guten Arbeit. In Einzelfällen mag das so sein, aber die Gründe sind meistens vielfältiger, von der Kirchensteuer über Glaubensverlust, Ärger über Entscheidungen oder Missverständnisse ist alles dabei. Und das ist auch bei Gemeinden mit einem sehr ambitionierten Gemeindeleben genauso.

Darüber kann man klagen, resignieren, eine Scheiß-egal-Haltung entwickeln - oder man kann, wie Paulus das hier tut, seinen Blick auf das richten, was in all diesen Veränderungen eigentlich nur wichtig ist. Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, …, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.

Eigentlich ist doch nur wichtig, dass Gott in uns wirkt, dass wir durchlässig werden für sein Leben in unserem Leben. Ich glaube, unsere Aufgabe ist es nicht, Volkskirche zu sein, also unser Wohl und Wehe davon abhängig zu machen, ob die Mehrheit aller Einwohner Reppenstedts Kirchenglieder ist. Das wäre natürlich schön, und ich finde, für eine Kirche ist das hier schon gar nicht so übel, aber vielleicht leben wir auch einfach in einer Zeit, in der die eindeutige Zugehörigkeit von Menschen kaum mehr möglich ist.

Man kann das ja auch in der Politik sehen, wie wenig es heutzutage noch gelingt, Volkspartei zu sein. Das Leben fächert sich auf, Menschen folgen nicht mehr nur einer oder zwei großen Parteien, spielen nicht nur Fußball oder Handball wie zu meiner Jugend, sind nicht mehr automatisch in der Feuerwehr. Diesen Rückzug finden Sie überall, nicht nur in den Kirchen. Veränderungen machen Angst, gerade dann stellt man sich ja die Frage, ob das eigene Handeln eigentlich ausreichend war. Hat man etwas falsch gemacht? Und zu einem Teil stimmt das vermutlich, ich hätte auch anders drauf reagieren können.

Für Paulus ist Gott aber der, der auch aus unseren begrenzten Fähigkeiten und sicher auch Fehlern wirken kann. Gott ist der, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt. Unsere Aufgabe als Kirche, als Gemeindeglied ist es, aus unserem Glauben heraus zu leben, Gott als unsere Kraft wirksam und sichtbar werden zu lassen, und davon zu erzählen.

Und das kann man nur, wenn man die Perspektive richtig wählt. Paulus fällt zu Beginn seines Gebets wörtlich auf die Knie: Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden. Das ist sozusagen geistliche Gymnastik um sich auf den zu verlassen, auf den es ankommt. Der Weg in Gottes Gegenwart führt von den Knien in das Herz und dann ins Hirn, das mich begreifen lässt: Gott kann überschwänglich mehr tun als alles, was wir bitten oder verstehen.

Der Weg zum Himmel beginnt auf der harten Erde – und manchmal ist sie härter, wird als härter empfunden. Gott bahnt sich einen Weg in der beharrlichen Übung meines Glaubens. Und wenn er bei mir angekommen ist, dann erzähle ich davon, von seiner Liebe, oder ich versuche möglichst gut zu Menschen zu sein in seiner Liebe. Durch die Brille der Liebe sehe ich ja erst die Bedürftigkeit jedes Menschen, ob er nun braun, gelb, blau oder grün wählt, er könnte in diesem Moment mich brauchen. Ob er nun so glaubt oder anders oder gar nicht.

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist.

Paulus bittet darum, dass seine Gemeinde das ausstrahlt und mit ihrer ganzen Lebensart bezeugt. Das man an und in ihr seiner Liebe Gottes begegnen kann. Darum geht es. Eine Kirche, die sich nur noch sorgt, Strukturen verändert, nur noch um sich selbst kreist, weil sie ihren über Jahrhunderte gewohnten ersten Platz nicht mehr hat, ist wie Bayern München, die mal nicht die Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions-League gewinnen. Und dann ist es Zeit, die Knie zu beugen.

Beides, Demut und Kraft kommen aus Gottes Geist. Gott möge seinen Geist senden, bittet Paulus. Neun Tage lang bereiteten sie so ihr Herz vor. Und am 10. Tag wurden sie erfüllt vom Geist. Das geschah an Pfingsten. Und nicht nur erfüllt, sondern überfüllt wurden sie, so dass der Mund übersprudelte von dem, was in ihren Herzen war und sie in allen Sprachen predigten und viele zum Glauben fanden.

Wir sind zwischen den Zeiten. Und zwischen den Zeiten zu leben bleibt schwer, besonders wenn alles so düster aussieht. Aber zuletzt, so innerlich auf den Knien, erwartungsvoll vor unserem Gott werden wir mit den Augen der Liebe erkennen: Die Trauer um die kleiner werdende Gemeinde ist nur eine Seite. Denn Gottes Lob wird nicht weniger. Wir selbst lassen ja nicht nach, wir feiern die Freude und Liebe Gottes. Und uns herum beten und singen und preisen Gott Menschen. Die Christen um uns her, die vielen kleinen Gemeinden, die in unserer Region und auf anderen Kontinenten entstanden sind, sie preisen Gott auf Vietnamesisch und Arabisch, auf Polnisch und auf Griechisch, in vielen afrikanischen Sprachen und Dialekten.

Stimmen wir doch ein in unserer Sprache, vielleicht jetzt auch mal lauter als sonst, damit andere es hören.

Darum geht es: Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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