Gottesdienst Predigt 17.02.2019

Predigt zu Prediger 7,15–18 - Pastor Henning Hinrichs

 

 

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

erst neulich musste ich wieder erfahren, wie wenig selbstverständlich christliche Inhalte als hilfreich aufgenommen werden und dass selbst das Vaterunser seine Tücken haben kann. Ich bete es eigentlich am liebsten, es ist mir so vertraut, ich kann es mit anderen beten, und ich kann so viel meines Lebens in dieses eine Gebet hineinlegen. Aber es kann auch anders gehen.

In einem früheren Gottesdienst hatte ich schon darauf hingewiesen, dass unsere deutsche Fassung eine missverständliche, sogar falsche Übersetzung beinhaltet: „Und führe uns nicht in Versuchung“. Das könnte man so verstehen, als wenn Gott einen in schwierigen Situationen hineinführt, mit Leid etwa versucht, unseren Glauben zu testen. So wie ein Lehrer, der eine Fangfrage stellt und nur die guten Schüler fallen nicht drauf rein, die anderen aber fühlen sich danach so richtig mies. Korrekt heißt es aber im aramäischen Text, der Sprache, die Jesus selbst gesprochen hat: „Und führe uns durch die Versuchung“ – und dann ist Gott nicht der Versucher, sondern der, der einem hilft, wenn man in Situationen gerät, die einem vom richtigen Weg abbringen können. Gott hilft, dass man da gut durchkommt.

Oder wenn man z.B. gerade etwas Schreckliches erlebt hat, etwas, in dem man keinen Sinn sehen kann, weil es einfach zu brutal, ganz einfach ungerecht und tief verletzend ist, und dann beten muss: „Dein Wille geschehe“. Das ist nun kein Übersetzungsfehler, das steht da. Aber wie verstehe ich es? Will Gott, dass ich so sehr leiden muss. Will er das Schwere, das mir und anderen widerfährt? Wenn schon nicht als Versucher, das ist ja nun schon geklärt, dass er das nicht ist, aber vielleicht weil … ja, was soll man darauf antworten?

Und was soll eigentlich der Glaube, wenn er nicht sichtbar Glück und ein gesundes, reiches, erfolgreiches Leben bringt. Wenn ich schon etwas investiere, mich auf etwas einlasse, dann soll doch auch was Gutes dabei herauskommen. Und das ist ja nicht immer so. Man kann ja nicht einfach vom Glauben, den man hat, aufs Lebensglück schließen.

Der Predigttext von heute hat aus diesen Fragen eine eigentümliche Schlussfolgerung gezogen. Der Prediger aus dem Alten Testament, das ist der, der den berühmten Satz geprägt hat: „Alles hat seine Zeit.“ Sie kennen das vielleicht: „Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit." – Also dieser Prediger schreibt: Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. (Also) sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt.

Normalerweise wird man in der Bibel und in Predigten aufgefordert, nach Gottes Wort zu leben, regelmäßig zu beten, in der Bibel zu lesen, Gottesdienste zu besuchen, das volle Programm am besten, seine Finger von schlechten Dingen zu lassen, gut mit Menschen umzugehen, zu helfen – kennen Sie alles. Der Prediger hat eine andere Antwort: Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor.

Weder mit der Gottessuche noch mit der Gottesflucht soll man es zu doll treiben. Das Glück liegt anscheinend in der Mitte: Nicht alles glauben, aber auch nicht alles anzweifeln. Mit dem Mittelweg fährt man am besten. Extreme führen mich ins Unglück. Und zwar nicht nur, wenn ich gottlos und dumm handle, das kann man ja leicht nachvollziehen. Sondern auch, wenn ich zu sehr versuche, Gott zu verstehen. Weil ich vielleicht nicht auf alles Antworten finde, mich das in meiner Erwartung nach Antworten also unzufrieden machen und sogar brechen kann. Und wenn ich zu gerecht handle, ich vielleicht enttäuscht werde, vielleicht weil ich nicht die Ergebnisse erziele, eine gerechtere Welt etwa, die ich mir wünsche. Anscheinend gehört beides zum Leben dazu: Mein Glaube genauso wie mein Zweifel. Mein Engagement wie mein Eigensinn. Manchmal schaffe ich es, gerecht mit andern umzugehen, ich bete zu Gott, manchmal verhalte ich mich dumm und vergesse Gott. So ist das Leben, mein Leben wohl, wenn ich realistisch drauf schaue.

Dein Wille geschehe? Will Gott, dass es mir manchmal schlecht geht? Will er, dass Schlimmes passiert? Den Tod einer geliebten Person, die viel zu früh stirbt. Will er das??

Ich glaube der Prediger würde antworten:

Aus dem, wie ich Gott erlebt habe, kann ich nur sagen, dass Gott nicht das Schlimme will. Ich habe ihn als Hilfe in meinem Leben erlebt. Als einen, der mir Hoffnung gibt, mich festhält, gerade im Schrecklichen. Wenn ich zu ihm gebetet habe, dann war das für mich keine Einbahnstraße. Selbst wenn ich ihn nie so deutlich antworten hörte, hat sich nach dem Gebet etwas zurechtgerückt, etwas beruhigt in mir. Vielleicht war das die Antwort. Etwas unklar, aber eine Antwort. Sicher, manchmal wünsche ich mir auch einen Gott, der Schreckliches verhindert, es nicht zulässt, aber so ist es nicht. So ist das Leben, mein Leben wohl, wenn ich realistisch drauf schaue.

Die einzige Antwort, wenn ich ehrlich bin, die ich geben kann ist: Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht wissen. Aber ich glaube, ich vertraue, ich fürchte mich nicht vor dem Leben. Vielleicht hat Gott seine Finger im Spiel.

Ein Ehepaar, das ihr Kind verloren hatte, sagte mir neulich: Vielleicht ist unserem Kind auch Schrecklicheres erspart geblieben. Wir können ja nicht in die Zukunft schauen, nicht alle Möglichkeiten eines Lebens überblicken. Wüssten wir von manchen Möglichkeiten, vielleicht würden wir Angst haben, verzweifeln, vielleicht ist das Schreckliche jetzt und hier gar nicht das Schlimmste und auch nicht das Ende.

Ich habe nur meine Vorstellungskraft, die sehr begrenzt ist. Ich verstehe letztlich nicht, warum Gottes Wille immer ein guter Wille ist, so dass ich sprechen kann und will: Dein Wille geschehe. Aber ich vertraue darauf, dass Gott es immer nur gut mit mir meint.

Vielleicht wäre das seine Antwort. Er schließt jedenfalls seinen Text mit dem Satz: Denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Und gemeint ist mit „entgeht dem allen“ nicht Schweres oder in unseren Augen Ungerechtes, gemeint ist, dass ich mir selbst mein Leben nehme, ich es bin, der in die Irre geht, falsch lebe – das geht auf vielfältige Weise. Und auf der andren Seite, dass ich an nichts mehr glauben kann und mich in Nichtigkeiten verliere, freudlos, lustlos werde.

Denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Und nun doch schon wieder so ein missverständlicher Begriff: „Gott fürchten.“ Also bedeutet sein Wille doch wieder, dass ich vor seien Schlägen erzittern muss? Vor wem ich mich fürchte, vor dem laufe ich für gewöhnlich weg. Auch in der Bibel ist Furcht zunächst die Reaktion auf die Erstbegegnung eines Menschen mit Gott. Denn Menschen nehmen Gott als fremd wahr, als ein Gegenüber, dass sie nicht einordnen können. Das mächtig sein kann. Und vielleicht auch für mich Unangenehmes durchsetzt.

Mir wird ja auch etwa beim Lesen der Bibel, vielleicht beim Schreiben oder Hören einer Predigt oder einfach im Gespräch manchmal bewusst, wo ich auch gegen Gottes Willen gehandelt habe, wo ich an anderen Menschen schuldig geworden bin. Auch das wäre dann eine unangenehme Gottesbegegnung, die ich lieber vermeiden möchte.

Das Spannende ist nun, dass diese Furcht nicht zu einer Trennung von Gott führen muss. Im Gegenteil: Wer von dieser sogenannten Gottesfurcht ergriffen ist, sie annimmt, flüchtet sich gerade zu Gott hin. Denn diese sogenannte Gottesfurcht ist keine Angst, sie ist Ehrfurcht. Sie erkennt an, dass es etwas Größeres als mich gibt, etwas das weiß, was ich nicht weiß, das die Zusammenhänge sieht, die ich nicht sehe, das eine größere Hilfe sein kann als meine Hilfe.

Das meint „Dein Wille geschehe“ – Ich lebe mein Leben aus deiner Hand im Vertrauen, dass du es gut mit mir meinst. Ich erkenne an, dass du, Gott, in diesem Mix aus Selbstkritik, Sehnsucht und Not gerade zu mir sagt: "Fürchte Dich nicht!" (Jes 41,10f).

Gott anzuerkennen, ihm zu glauben, ihm zu vertrauen, was auch geschieht, bedeutet dann auch, keinerlei Furcht mehr gegenüber den Dingen und Angelegenheiten in der Welt haben zu müssen. Mich hat die Antwort der beiden Eltern, die ihr Kind verloren hatten, regelrecht umgehauen. Das war sie diese Ehrfurcht, Gottesfurcht, eine Hilfe.

Wenn ich abends schlafen gehe, wenn ich im Bett liege und einfach nicht einschlafen kann, weil mir Sorgen im Kopf kreisen und Schweres aufs Herz drückt, dann bete ich das Vaterunser, und besonders dieses „Dein Wille geschehe“. Und es ist besonders diese Zeile, die mir die Last nimmt. Weil ich in dem Moment das mache, was eigentlich ganz logisch ist. Ich kann jetzt nichts ändern. Ich gebe das ab, was ich nicht beeinflussen oder ändern kann. Ich brauche nicht endlos in Gedanken kreisen, weil es nicht in meiner Hand liegt, aber ich kann es abgeben, in Gottes Hände legen und im Vertrauen einschlafen, dass Gott mich in allem, was passieren wird, halten und begleiten wird.

Dein Wille geschehe.

Und dann schlafe ich ein.

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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