Gottesdienst Predigt 20.01.2019

Predigt zu Römer 12, 9 – 16   -   Pastor Henning Hinrichs

 

 

 

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

auf dem Weg eines Menschen vom Baby zum Erwachsenen muss jeder oder jede lernen, wie menschliches Zusammenleben eigentlich funktioniert. Ein Kind muss dabei lernen, dass Gebote oder auch Verbote Sinn machen. Zähneputzen etwa. Das sagen Eltern nicht nur, um ihre Kinder zu pisacken, ja, liebe Kinder, wirklich, sondern um späteren Schmerz zu vermeiden. Das macht also einen ganz praktischen Sinn. Ein praktisches Gebot für alle, auch für die, die sich mittlerweile auf regelmäßiges Zähneputzen eingestellt haben, ist zum Beispiel „Geh nicht mit geschlossenen Augen über eine sechsspurige Autobahn bei Feierabendverkehr.“ Wenn du das trotzdem machst, kannst du damit rechnen, dass das nicht so gut ausgehen wird.

Die Wise Guys haben vor ein paar Jahren ein Lied darüber geschrieben, was unpraktisches Handeln ist:

„Du kannst die Elektroleitungen zu Haus allein installier'n / und die Pilzsuppe deiner Schwiegermutter probier'n, / checken, ob die Tür zum Löwenkäfig abgeschlossen ist, / testen, ob du immun gegen Rattengift bist, / kannst nem Pitbull ohne Maulkorb die Haare schneiden, / dich zur Jagdsaison im Wald als Hirsch verkleiden, / die A 1 überquer'n, ohne Dich zu beeil'n, / auf dem Marktplatz in Kabul Bibeln verteil'n. Doch das wäre keine gute Idee. / Das wäre keine gute Idee. / Wenn du mich fragst, dann sag ich: „Nee, du, so weit ich das so seh, / wär' das keine gute Idee.“

Bei praktischen Fragen antworten die meisten: Klar, mach ich auch nicht! Wär ja auch doof! Aber es gibt noch die anderen Gebote, die weniger einsichtig sind, die moralischen Gebote, also die, die sich auf unsere Werte beziehen. Sie funktionieren nur, wenn und weil sich eine Gruppe von Menschen darauf geeinigt hat, dass das richtiges und gutes menschliches Umgehen miteinander ist. Ein Beispiel: Unter rein praktischen Gesichtspunkten macht es keinen Sinn, Menschen in Not zu helfen. Das schmälert meinen Geldbeutel, weckt ein unangenehmes Mitgefühl oder sogar Schuldgefühl in mir und eine Gegenleistung ist auch meistens nicht zu erwarten. Praktisch sinnlos, aber moralisch gut, weil sich für uns, oder einige von uns, daran die gute Seite unserer Menschlichkeit zeigt. Menschsein heißt füreinander da sein.

Und diese Ebene der Gebote bricht in unserer Zeit gerade auseinander. Es ist gar nicht mehr so eindeutig, wie wir miteinander umgehen wollen oder ob das überhaupt wichtig ist. Ist es gerechtfertigt, in Kommentaren zu beleidigen? Ist es in Ordnung die Büros politischer Gegner zu zerstören, oder ihre Politker hinterrücks anzuspringen, sie damit zu verletzen? Aber auch: ist es in Ordnung, daraus einen Mordversuch mit nicht existenten Kanthölzern oder Tritten zu machen? Es kommt mir so vor, als wenn sich die moralische Beurteilung unseres Handelns langsam auflöst und auf den rein praktischen Nutzen abgedampft wird. Und das heißt: wenn ich mein Ziel erreichen kann, dann ist dieses Handeln, dieses Provozieren, Beleidigen, Lügen, Zerstören, das lässt sich immer weiterziehen, ja auch das Töten letztlich gerechtfertigt, dann ist das o.k., ist ja nur noch ein Geschäft, ein Deal. In der Ethik nennt man das Utilitarismus, auf einen Satz gebracht: Das Ziel heiligt die Mittel.

Bislang fußte unsere Kultur auf anderen Werten. Auf Verantwortung, Respekt, Nächstenliebe. Ein Christ lehnt deshalb die Heiligung der Mittel ab. Es gibt Mittel, die sich einfach verbieten. Denn die Art der Mittel wirkt immer in das erreichte Ziel hinein und kann es auf Dauer vergiften oder sogar zerstören. Wenn ich mit Hass und Gewalt mein Ziel erreicht habe, dann bleibt dieser Hass bei den Unterlegenen lebendig und führt zu neuer Gewalt, irgendwann. Wer Wind sät, wird Sturm ernten, so gibt schon der Prophet Hosea im Alten Testament (Hos 8,7) die Worte Gottes wieder.

Die Liebe soll echt sein, nicht geheuchelt, schreibt Paulus im Römerbrief. Verabscheut das Böse, haltet euch unbeirrbar an das Gute. Lasst im Umgang miteinander Herzlichkeit und geschwisterliche Liebe zum Ausdruck kommen. Übertrefft euch gegenseitig darin, einander Achtung zu erweisen. Lasst in eurem Eifer nicht nach, sondern lasst das Feuer des Heiligen Geistes in euch immer stärker werden. Dient dem Herrn. Freut euch über die Hoffnung, die ihr habt. Wenn Nöte kommen, haltet durch. Lasst euch durch nichts vom Gebet abbringen. Helft Gläubigen, die sich in einer Notlage befinden; lasst sie mit ihrer Not nicht allein. Macht es euch zur Aufgabe, gastfreundlich zu sein. Segnet die, die euch verfolgen; segnet sie, verflucht sie nicht. Freut euch mit denen, die sich freuen; weint mit denen, die weinen. Lasst euch im Umgang miteinander davon bestimmen, dass ihr ein gemeinsames Ziel habt. Seid nicht überheblich, sondern sucht die Gemeinschaft mit denen, die unscheinbar und unbedeutend sind. Haltet euch nicht selbst für klug.

Vielleicht ist es das, dass sich Menschen heute für ach so klug halten. Dass sie ihre Meinung für so wichtig nehmen, dass sie sie in alle Welt hinausposaunen müssen, heute würde man sagen: posten müssen in Kommentaren, Tweets, Talkshows. Aber eine Meinung allein ist ja nicht klug. Sie kann unglaublich dumm sein. Und kennen Sie das? Gerade Menschen, die sich selbst für klug halten, wirken oftmals ja gerade lächerlich in ihrer Unbeirrbarkeit und ihrem Starrsinn.

Nun ist Klugheit aber durchaus erstrebenswert. Wenn man weiß, wie man sie erlangen kann. Denn Klugheit hat nichts mit Wissen oder Intelligenz zu tun. Ein Mathematikprofessor mag unglaublich abstrakte Formeln verstehen, aber wenn er in überaus intelligenten Gedanken versunken über eine sechsspurige Autobahn geht… dann ist das keine gute Idee….

Klugheit ist nämlich die Fähigkeit, die jeweils richtige Entscheidung zu treffen je nach Situation. Und Klugheit muss man lernen. Intelligenz mag genetisch vorgegeben sein, Klugheit nicht. Klug wird nur, wer bereit ist, sich auf gerade auch fremde Situationen und Menschen einzulassen, wer bereit ist zuzuhören, sich etwas sagen lassen zu können – und das ist umso schwerer, je mehr ich mich selbst für klug halte.

Es geht um Belehrbarkeit. Das hat nichts mit Bescheidenheit oder Dummheit zu tun, sondern wer wirklich herausfinden will, wie gutes Leben funktionieren kann, der bleibt offen und auf der Suche, der lässt sich immer etwas sagen.

Also: Verabscheut das Böse, haltet euch unbeirrbar an das Gute. Lasst im Umgang miteinander Herzlichkeit und geschwisterliche Liebe zum Ausdruck kommen. Übertrefft euch gegenseitig darin, einander Achtung zu erweisen. Lasst in eurem Eifer nicht nach, sondern lasst das Feuer des Heiligen Geistes in euch immer stärker werden.

Das mag manchmal alles schwerfallen, auch unangenehm sein, sich immer von Liebe, Herzlichkeit und Respekt u.s.w. , also immer von diesem Blick auf das Wohl des anderen bestimmen zu lassen statt von den ureigenen Bedürfnissen nach Anerkennung, Recht zu haben oder sich wohl zu fühlen. Es bedeutet ja, zunächst zu verzichten, etwa darauf reflexhaft zurückzuschlagen. Es bedeutet ja zunächst auch Schmerz auf sich zu nehmen. Aber das Ringen jetzt, der Schmerz jetzt leben ja von dem Glauben, dass größeres Leiden später verhindert wird. Wie beim Zähneputzen übrigens, wie auch beim Zahnarztbesuch. Ich nehme den Schmerz jetzt auf mich, um größeren Schmerz zu verhindern. Das ist klug. Das ist gut.

Und so ist es doch auch mit unsrem gegenseitigem Umgehen.

Segnet die, die euch verfolgen; segnet sie, verflucht sie nicht. Freut euch mit denen, die sich freuen; weint mit denen, die weinen. Lasst euch im Umgang miteinander davon bestimmen, dass ihr ein gemeinsames Ziel habt. Seid nicht überheblich, sondern sucht die Gemeinschaft mit denen, die unscheinbar und unbedeutend sind.

Schwer, aber im Ergebnis entstehen nur dadurch wirklich Frieden und Gemeinschaft, kein vergifteter Frieden, unter dem es eigentlich brodelt, wenn ich daran arbeite, das Brodeln in mir zu bewältigen. Diese Klugheit wirkt, wenn ich sie wie eingespeiste GPS-Daten in meinem gut funktionierenden Navigationssystem nutze, um durch das Leben zu kommen. Und ich bereit bin, je nach Situation den richtigen Weg zu gehen und mich korrigieren zu lassen. Klug ist, wer sich gerade nicht für klug hält, sondern fragen kann, sich hinterfragen lassen kann, wer mit dem ANDEREN rechnet, mit anderen Menschen, auch den fremden, und auch mit Gott.

Oder um es noch mal musikalisch auszudrücken: „Der, die, das / Wer, wie, was / Wieso weshalb warum? / Wer nicht fragt bleibt dumm. 1000 Tolle Sachen, die gibt es überall zu sehen : Manchmal muss man fragen um sie zu verstehen. Der, die, das / Wer, wie, was / Wieso weshalb warum? / Wer nicht fragt bleibt dumm.“ Ich jedenfalls will nicht dumm bleiben! Sie? Ihr?

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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