Gottesdienst Predigt 11.11.2018

Predigt Matthäus 9, 1 – 8 / Kreuzstab-Kantate – Pastor Henning Hinrichs

 

 

 

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

„Mein Wandel auf der Welt / ist einer Schifffahrt gleich; / Betrübnis, Kreuz und Not / Sind Wellen, welche mich bedecken / Und auf den Tod / mich täglich schrecken.“ So hat es Ulrich Kratz eben gesungen.

Sind Sie schon einmal mit einem Segelboot über einen See, vielleicht sogar ein Meer gefahren? Ein Freund von mir war mit seiner Familie unterwegs in der griechischen Agäis. Sommersegeln in blau. Tiefblaues Wasser, strahlend blau der Himmel, Griechenland steht für blau, ein Paradies für Segler. Getragen vom Wasser, geführt vom Wind. Und dann gab es dieses eine schwere Unwetter auf See, gerade im Sommer, wenn aus Wärme Sturm und Gewitter entstehen und man merkt, dass dasselbe Wasser, das dich eben noch trug, nach dir, nach deinem Boot, nach deinem Leben greift. „Betrübnis, Kreuz und Not / Sind Wellen, welche mich bedecken.“

Die Kreuzstab-Kantate spricht das an, was jeden Menschen irgendwann ereilen wird. Mag man sich auch jetzt noch keine Gedanken darüber machen, mag es jetzt noch gut sein - alles kann umschlagen, sie kommen irgendwann, die schweren Ereignisse, die man nicht weglächeln kann, hier in den Worten „Betrübnis, Kreuz und Not." Wie durchsteht man das? Wie etwa mit Krankheit umgehen?

Das versucht das Evangelium zu beantworten. Jesus heilt darin einen Gelähmten. Im Markusevangellium wird der Weg zu Jesus ausgeschmückt, so wie manche es vielleicht aus den Kinderbibeln kennen. Wie die Freunde das Dach an einer Stelle abtragen, so dass die Trage hindurch passt, ihn in das völlig überfüllte Haus herunterlassen auf der Trage, sie schwankt hin und her, die Geschichte riecht nach Schweiß und Glaubensmut. Von all dem ist hier bei Matthäus nichts mehr zu spüren. Einige Männer brachten einen Gelähmten auf einer Tragebahre zu Jesus. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er...

Wahrscheinlich kannte Matthäus das ältere Markusevangelium, seine Leser vermutlich auch, er musste ihnen nicht erklären, worin der Glaube der Freunde bestand, nämlich dass sie Jesus die Heilung ihres kranken Freundes so sehr zutrauten, dass sie nichts unversucht ließen. Aber so die schöne Geschichte einzustampfen, naja. Er spitzt die Geschichte gleich auf das zu, was ihm wichtig ist. Es ist nicht in erster Linie das Wunder, die Heilung des Gelähmten, sondern der Wundertäter selbst, Jesus. Matthäus will klarstellen, wer Jesus ist, denn daraus folgt der Umgang mit der Krankheit.

Jesus sagte zu dem Gelähmten: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Sohn! Deine Sünden sind dir vergeben!“ Einige Schriftgelehrte dachten im Stillen: „Das ist ja Gotteslästerung! (Niemand außer Gott kann, darf das.)“ Jesus waren ihre Gedanken nicht verborgen. „Warum denkt Ihr Böses in eurem Herzen?“, fragte er sie. „Was ist leichter – zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, oder: Steh auf und geh umher?“

Nun, zu sagen ist beides gleich leicht. Was kann ich ihnen nicht alles sagen! Wenn du am Mittwoch die Zahlen 6 – 7 – 15 – 26 - 31 – 32 – Zusatzzahl 3 tippst, wirst du eine Million gewinnen. Ich wiederhole zum Mitschreiben: 6 – 7 – 15 – 26 - 31 – 32 – Zusatzzahl 3. Toll, oder? Aber mit solchen Sätzen ist es wie mit einem Stück Fleisch. Sie haben ein Mindesthaltbarkeitsdatum, und das läuft am Mittwoch ab. Spätestens dann wissen Sie, ob ich ein Prophet oder Spinner bin.

Die Schriftgelehrten, der Gelähmte, die Anwesenden warten nicht bis Mittwoch. Jetzt läuft die Zeit ab. Was wird passieren? Wer ist Jesus? Ein Spinner? Zu sagen ist beides einfach, aber umzusetzen, darauf kommt es an. Und wenn Jesus den Gelähmten heilen kann, dann muss das andere, die Sündenvergebung, wohl auch stimmen. Schließlich dachte man früher, Krankheiten seien das Ergebnis schlechter Taten, regelrecht eine Bestrafung Gottes. Wer frei von Sünde ist, der ist ist nicht krank. Wer krank ist, muss etwas auf dem Kerbholz haben. Man nennt das den Tun-Ergehen-Zusammenhang - der erste theologische Begriff, den ich an der Uni gelernt habe! Tun-Ergehen-Zusammenhang. Was du tust, fällt auf dich zurück.

Jesus sagte zu dem Gelähmten: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Sohn! Deine Sünden sind dir vergeben!... Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause!“ Da stand der Mann auf und ging nach Hause.

Meine erste Proseminararbeit drehte sich um das heutige Evangelium. Ich weiß nicht mehr, ob ich dem Thema gewachsen war. Auch wenn der Tun-Ergehen-Zusammenhang mein erster theologischer Begriff war, so sehen wir das heute natürlich anders: Krankheit ist kein Ausdruck göttlicher Bestrafung. Sicher, unser Lebenswandel hat Konsequenzen für uns, unsere Gesundheit, und manchmal kann man es manchen Menschen sogar im Gesicht ablesen. Aber ob wir moralisch gut oder schlecht handeln, hat kein Leben in Krankheit und Unglück zur Folge. So einfach ist das Leben nicht. Aber eines habe ich damals gelernt: Gesundheit fängt mit Vergebung und Vertrauen an, mit Vergebung und Vertrauen. Mit Glauben.

"Mein Anker aber, der mich hält, / Ist die Barmherzigkeit, / Womit mein Gott mich oft erfreut. / Der rufet so zu mir: / Ich bin bei dir."

Und Jesus sagte zu dem Gelähmten: „Du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Sohn! Deine Sünden sind dir vergeben!... Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause!“

Für Matthäus ist das eigentliche Wunder, dass da jemand ist, der dem Gelähmten so viel Vertrauen, soviel Zuwendung, ob man nun vom Tun-Ergehen-Zusammenhang ausgeht oder nicht, so viel Zuneigung und Nähe geben kann, dass er gesund wird. Für Matthäus ist Jesus Christus das Wunder. Dass jemand, der an ihn glaubt, sein Leben wieder gut leben kann.

Angesichts dieser Blickwinkelverschiebung von der Heilung erst einmal zu Jesus ist es fast schon nebensächlich, ob der Gelähmte nun unheilbar krank war, oder vielleicht traumatische psychische Erlebnisse diese körperliche Reaktion der Lähmung hervorriefen, ob das wirklich ein Wunder im Sinne eines gegen alle Naturgesetze verstoßendes Phänomen war. Das ist für Matthäus keine Frage, und für uns eigentlich auch nicht, kann eh niemand überprüfen.

Wichtig ist dieses: Jesus Christus zu vertrauen, zu glauben, dass er alles von dir nimmt. Vielleicht die Schuld, vielleicht die Angst, die Schwäche, die Lähmung. Und dass du wieder aufstehen kannst, leben kannst. Das rettet dich. Gesundheit fängt mit Vergebung und Vertrauen an, mit Vergebung und Vertrauen. Mit Glauben.

Die Kantate endet mit gelassener Todesbereitschaft: „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder, / Komm und führe mich nur fort; / Löse meines Schiffleins Ruder, / Bringe mich an sichern Port! / Es mag, wer da will, dich scheuen, / Du kannst mich vielmehr erfreuen; /Denn durch dich komm ich herein / Zu dem schönsten Jesulein.“

Das wirkt vielleicht befremdlich. Es ist natürlich schöner, irgendwie auch ein Wunder, wenn Menschen es schaffen, die bitteren Worte, die gefallen sind, und die Wunden, die ihnen zugefügt wurden, beiseite zu schieben und wieder zueinander finden. Schöner, wenn Fremde in dem Augenblick, da sie Brot und Wein teilen, begreifen: „Wir gehören zusammen als Bruder und Schwester!“ und anders, herzlicher miteinander umgehen. Wenn ein Mensch, dem die Ärzte keine Hoffnung mehr gaben, gesund wird. Weil man das Wunder immer als Rückkehr ins Leben verstehen will.

Aber ist das nicht auch wunderbar: Wenn ein Mensch nicht geheilt wird von seiner Krankheit, aber seinem Sterben entgegengehen kann mit dem Wissen: Ich bin gehalten! Ich bin getragen!

„Komm, o Tod, du Schlafes Bruder ….Es mag, wer da will, dich scheuen, / Du kannst mich vielmehr erfreuen; /Denn durch dich komm ich herein / Zu dem schönsten Jesulein.“ Das erste Wunder ist, dass da jemand ist, dem ich so sehr vertraue, an ihn glaube, Der rufest so zu mir: / Ich bin bei dir. -

Dann mag der Rest kommen wie es eben an der Zeit ist. Gelassen und heiter sollte ich sein.

Und der Friede Gottes, der größer und wunderbarer ist als alles, was wir begreifen und tun können, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.