Gottesdienst Predigt Erntedank (30.09.2018)

Predigt zu 2. Korinther 9, 6 – 15 – Pastor Henning Hinrichs

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich jetzt schon deutlich die 50 überschritten habe, aber es kommt mir häufiger als früher in den Sinn, dass die Zeit rasend schnell vergeht und dass ich selbst eigentlich zu viel erledigen muss in immer kürzer werdender Zeit. Jedenfalls kommt es mir so vor. Und das drückt dann auf meine Fröhlichkeit.

Vielleicht liegt es am Alter, dass nicht mehr so viel geht wie mit 20. Aber manchmal ist das ja nicht nur ein Gefühl, manchmal lässt sich das auch messen. In einer Studie wurde z.B. die Geschwindigkeit gemessen, mit der Menschen unterschiedlicher Kulturen gehen, die Gehgeschwindigkeit also. Denn die ist tatsächlich unterschiedlich. Dafür muss man nur mal in ein anderes Land fahren. Etwa wie ich im August nach Tansania. Da ist mir aufgefallen, dass die Menschen dort deutlich langsamer gehen als bei uns, und es war im August dort nicht etwa wärmer als hier. Und trotzdem sind sie langsamer gegangen. Jetzt ist es also untersucht worden.

Und man hat festgestellt, dass je größer die Orte sind, in denen Menschen leben, und je größer das Bruttoinlandsprodukt dort ist, also je mehr Geld erwirtschaftetet wird, und – jetzt kommst ´s – je mehr ein Ort vom evangelischen Glauben geprägt ist, desto schneller gehen die Menschen. Platt gesagt: Evangelische Christen gehen schneller. Irgendwie treibt uns unser evangelischer Glaube anscheinend dazu an, in der zur Verfügung stehenden Zeit mehr reinzupacken, mehr zu erledigen, umzusetzen, sich auch häufiger ehrenamtlich zu engagieren - oder kritischer gesagt: gehetzter und stressiger zu leben. Immer muss etwas passieren, und das am besten schnell und immer ein bisschen mehr.

Unserer Wirtschaft geht es in unseren Augen dann gut, wenn immer mehr erwirtschaftet wird, mehr produziert wird, immer mehr. Ein persönlicher Antrieb ist oft der, mehr Geld zu verdienen, befördert zu werden, eine Gehaltserhöhung zu bekommen. Und dazu passt es, dass Eltern häufig für ihre Kinder wünschen, sie sollten es mal besser haben als sie, ihre Eltern. Es muss immer mehr werden.

Heute am Erntedanktag nehmen wir das ja auch in den Blick, was alles gelungen ist, passiert ist, der Ertrag an Lebendigkeit, besonders auch an ehrenamtlicher Tätigkeit in unserer Kirche. Und wenn ich ehrlich bin, überlege ich ja auch immer mal wieder, wie wir diese Gemeinde attraktiver, zugewandter, spiritueller u.s.w. gestalten können. Oder wie man für die dadurch immer mehr werdenden Aufgaben immer mehr Ehrenamtliche gewinnen kann.

Der Predigttext aus dem 2. Korintherbrief passt dann auch zu diesem schneller und mehr, wenn Paulus schreibt: Denkt daran: Wer wenig sät, wird auch wenig ernten. Und wer reichlich sät, wird reichlich ernten.

Aber muss es immer mehr sein?

Eine meiner schönsten Erinnerungen ist die an einen Urlaub auf Lanzarote. Ich studierte gerade in Marburg, das Geld war recht knapp, und so musste der Urlaub so günstig wie möglich sein. Das teuerste an einem Urlaub ist ja die Unterbringung, also spart man viel, wenn man den Sandstrand sein Bett werden lässt und den Himmel seine Decke. So war ´s. Mit Schlafsack unter dem Sternenhimmel an der Papagayo-Bucht, geweckt von der Sonne, bei Dunkelwerden schlafen, Zähneputzen mit Salzwasser und das einzige, was wir wirklich mussten, war die 3 Kilometer lange Wanderung in den Ort, um Lebensmittel und Trinkwasser zu besorgen - und ansonsten: freie Zeit und weiter Raum. Und das, diese Reduzierung auf das absolut notwendige, war eine der schönsten Erfahrungen für mich.

Manchmal stimmt das: Weniger ist durchaus auch mal mehr. Wer schnell geht, läuft manchmal an dem vorbei, was entsteht und wächst. Die wachsenden Halme sieht man eben nicht aus dem vorbei rauschenden Auto heraus, sondern nur, wenn man anhält und aussteigt. Wenigstens für eine Zeit.

Und wenn mir mal wieder alles zu viel wird, die Freude zubetoniert wird von dem Muss und Soll, dann stelle ich mir auch die Kirche so vor: Ein Raum, an dem nicht immer schon alles feststeht, an dem noch etwas geschehen kann, das nicht geplant oder erwartet war. Das passiert, weil gerade nichts ist. Dafür braucht man freie Zeit, freie Räume, ein weniger, damit etwas passieren kann. Ein Ort und eine Zeit , da man überhaupt erst merkt, was wirklich wichtig ist. Ist es das, was ich tue? Oder wünschte ich mir nicht doch etwas anderes?

Und wo man dann auch wieder merkt, wie sehr mein Leben doch in Gottes Hand ist und wie er wirksam ist in meinem Leben. Auch dafür muss man anhalten, aufmerksam sein können, Zeit und Raum haben.

Es stimmt schon: Wer wenig sät, wird auch wenig ernten. Und wer reichlich sät, wird reichlich ernten. Damit will Paulus die Christen auffordern, etwas zu tun, etwas zu geben, sich einzusetzen – das ist ja auch richtig.

Aber er schreibt direkt danach eben auch: Gott hat die Macht, euch mit all seiner Gnade zu überschütten, damit ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles habt, was ihr zum Leben braucht, und damit ihr sogar noch auf die verschiedenste Weise Gutes tun könnt. Was Paulus hier ans Herz legen will ist zu vertrauen. Gott zu vertrauen, dass immer wieder etwas Gutes wird, dass er bei mir ist und für mich sorgt. Gott überschüttet dein Leben mit dem, was du brauchst.

Manchmal gehen meine und Gottes Meinung auch auseinander über das, was ich brauche, sicher, da würde ich am liebsten Gott bitten: Sag mal, kannst du dich in dieser Sache einmal mal nicht so anstellen und einfach mal das machen, was ich mir wünsche. Hat aber bislang nichts gebracht, also lasse ich es doch lieber. Und wenn ich ehrlich bin, entdecke ich doch an jedem Tag, auch an den schweren, mindestens eine gute Sache, die ich erlebt habe. Und wenn ich damit erst einmal anfange, die guten Sachen in den Blick zu bekommen, fallen mir ja gleich noch mehr ein, für die ich Gott dankbar sein kann. Danke kann ich gar nicht genug sagen. Wer Danke sagt, hat nicht unbedingt ein leichtes Leben, aber er kann den Blick auf die guten Dinge lenken. Und er vertraut darauf, dass noch etwas werden kann, weil Gott es tun kann. Und dann kann weniger mehr sein.

Auch wenn weniger auch schmerzhaft sein kann. Eines nachts schwappten die Wellen den ganzen Strand hoch, und es ist nicht so lustig, im Schlaf vom Wasser geweckt zu werden, dass an einem vorbei strömt. Plötzlich ist die Natur auch Wildnis, etwas, was einem Schaden zufügen kann. Oder dass es in Reppenstedt nicht mehr den Adventsbasar gibt, das ist für manche immer noch schmerzhaft oder zumindest sehr schade.

Aber worauf richte ich den Blick? Auf das, was nicht mehr ist, lieb gewonnen über die Jahre, aber nicht mehr realisierbar, weil keiner oder nicht ausreichend Personen diese Aufgabe auf sich nehmen wollen. Oder schaue ich auf das, was an anderem oder gerade durch diesen Freiraum entstanden ist?

Das hier und heute ist ein Tag des Dankens, aber bei diesem Erntedankfest mit einer neuen Ausrichtung, es geht einmal nicht um das immer mehr, nicht um das Bewahren des Vertrauten, oder eben um den Verlust, der so schmerzhaft sein kann. Mit diesem Erntedankfest und für das kommende Jahr möchte ich Ihren Blick auf das lenken, was noch nicht ist und was erst noch entstehen wird, wenn Sie wieder Zeit haben, Raum dafür haben. Wenn Sie auch mal weniger tun und weniger erwarten.

Das kommende Jahr hat von der Landeskirche ein überraschendes Thema bekommen: „Zeit für Freiräume – um des Menschen willen“. Ein Jahr für Aufbrüche und Fragen, für Unterbrechungen, Besinnung und vielleicht auch für Neubeginn. Die Welt verändert sich rasant, was bedeutet das für uns persönlich und für die kirchliche Arbeit? Was wollen wir tun? Was wollen wir lassen oder verändern? Was gibt uns Kraft, und wo finden wir Hoffnung? Wagen Sie doch einmal diese Experimente: Was wäre, wenn Sie etwas weglassen würden? Was wollten Sie schon immer einmal gerne tun, was wollten Sie längst unterlassen? Was können Sie begrenzen? Wohin kann dieser Freiraum Sie führen?

Schon das offene Gespräch über eigene Freiräume ist ein wichtiger und sinnvoller Schritt. Es zeigt Belastungen und Nöte, es weckt Wünsche und Träume und führt zu neuen Bildern über die Zukunft unserer Kirche. Dann kommt die Fröhlichkeit im Tun zurück.

Das meint Paulus. Denkt daran: Wer wenig sät, wird auch wenig ernten. Und wer reichlich sät, wird reichlich ernten. Jeder soll für sich selbst entscheiden, wie viel er geben möchte, … ohne Bedauern und ohne Widerstreben…. Gott liebt den, der fröhlich gibt. Er hat die Macht, euch mit all seiner Gnade zu überschütten, damit ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit alles habt, was ihr zum Leben braucht, und damit ihr sogar noch auf die verschiedenste Weise Gutes tun könnt. Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.