Gottesdienst Predigt 04.03.2018

Predigt zu Lukas 22, 47 – 53 - Pastor Henning Hinrichs

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
es ist mittlerweile ja fast schon zu einer Gewohnheit geworden, sich morgens über Zeitung oder Nachrichtenportale über die neusten Skandale informieren zu lassen. Seien es nun die Enthüllungen von Belästigungen in der Filmbranche, mögliche Russlandkontakte der US-amerikanischen Regierung oder die Lobbyarbeit mächtiger Interessenverbände wie der Waffenlobby NRA, der Autoindustrie in Deutschland oder Verflechtungen von Mafia und Politik wie in der Slowakei.
Interessant finde ich, dass sich bei mir natürlich sofort Unverständnis und Empörung regen - wie kann man nur Schusswaffen im Supermarkt kaufen können! Wieso muss ich als Steuerzahler die Versäumnisse und Betrügereien der Autoindustrie mitfinanzieren u.s.w.
Dass ich mir dabei aber zu jeder Zeit klar bin, dass das alles mit mir, mit meinem Handeln und meinen Überzeugungen so gar nichts zu tun hat, jedenfalls nicht mit einer Verantwortung, die bei mir liegen könnte. Diese Skandale sind so beruhigend weit weg von mir. Bei mir ist alles in Ordnung, aber draußen tobt die Welt.
Das macht es so einfach, sich zu empören. Um sich aufregen zu können, muss man nämlich wenigstens gefühlt auf der richtigen Seite stehen. Wer dagegen eine Ahnung davon hat, wie nah sich manchmal Gerechtigkeit und Verfehlung stehen, wie man von einem Augenblick zum anderen auch zu den Schuldigen gehören kann, der hält sich meist mit Empörung und Urteilen zurück.
Ich merke das immer, wenn ich mir die biblische Figur des Judas anschaue. Er war es ja, der Jesus verraten hatte, so dass Jesus überhaupt erst verhaftet, gefoltert und schließlich getötet werden konnte. Da ist das Urteil über Judas schnell klar. Der Name Judas ist sogar zum Synomym für einen skandalösen Verräter geworden. Denn er verrät ihn auch noch mit einem Kuss, dem Zeichen der Freunde und Geschwister. Ja, ein Skandal.
Das erste Mal, dass sich mein Blick auf Judas geweitet hat, war, als ich die Rock-Oper „Jesus Christ Superstar“ gesehen habe. Dort verzweifelt Judas an Jesu Bereitschaft zur uneingeschränkten Vergebung, an seiner Friedfertigkeit, die auch mit seinem und dem Tod der Jünger enden könnte. In den Augen Judas bringt Jesus alle in Gefahr, in Lebensgefahr. Judas sieht die Sache, diese neue Glaubensrevolution, gerade durch Jesus selbst gefährdet.
In der Rock-Oper verrät Judas Jesus, um die Sache des Glaubens und das Leben der Jünger zu retten. - Wer würde das nicht tun, wäre er oder sie an dem Punkt, wo es heißt: entweder – oder? Wenn man meint, das Richtige zu tun.
Wenn man sich dann die Passionsgeschichte in den Evangelien anschaut, dann stellt man fest, dass dieser Leidensweg Jesu so ablaufen soll. Er ist gewollt, jedenfalls nach Darstellung der Evangelien. Da läuft ein Plan Gottes ab, wie er den Menschen seine uneingeschränkte Vergebung und Liebe zeigen will: durch seinen eigenen Tod. Durch seine Bereitschaft, alles auf sich zu nehmen. Deswegen erscheint Jesus im Lukas- und Johannesevangelium so ungeheuer souverän, als wenn er schon alles weiß und, obwohl er eigentlich ein Gefangener ist, trotzdem irgendwie alle Fäden in der Hand behält.
Jesus ist in der Passionsgeschichte nicht das Opfer, sondern er geht bewusst und selbstbestimmt in diesen Tod – so wenig nachvollziehbar das auch scheint.
Und zu diesem Plan gehört Judas. Er muss Jesus geradezu verraten. Und es gehört zu den undurchdringlichen Geheimnissen in der Passionsgeschichte, wie hier Gottes Plan und Judas Wille zum Verrat zusammenspielen. Judas bekommt dann doch eher etwas von einer tragischen Person, die das Richtige tun will, das Falsche tut und im Endeffekt zum Gelingen des Ganzen beiträgt, selbst aber stirbt, Judas durch sein schlechtes Gewissen und den Selbstmord.
Es gibt in der neueren Literatur eine Person, die dem sehr nahe kommt, vielleicht Jugendlichen eher bekannt als Erwachsenen. Es ist Severus Snape aus den Harry-Potter-Romanen, dieser wie der typische "Böse" mit seiner Hakennase aussehende Zauberei-Professor, seinen fettigen Haaren und einer leisen, aber durchdringenden und "ölig" klingenden Stimme. Snape scheint Harry vom ersten Augenblick an nicht nur zu schikanieren, sondern richtig zu hassen. Schließlich wechselt er auf die Seite des abgrundtief bösen Lord Voldemort, tötet sogar den Leiter der Zaubereischule, Albus Dumbledore.
Und doch ist Snape es, wie sich erst zuletzt herausstellt, der in dem Plan, das Böse endgültig zu bekämpfen, seine Rolle spielen muss, Dumbledore töten muss, weil es nicht anders geht, die Seite wechseln und zum Verräter werden muss, aus Liebe zu Harrys Mutter und weil nur so das Böse bekämpft werden kann.
Snape ist der Verräter, dessen Verrat zum Plan gehört, der im Falschen das Notwendige tut, und der doch daran stirbt. Für mich ist das einer der ergreifendsten Momente, wenn Snape stirbt, dieser tragische Held, und Harry erkennt, wie viel Liebe in diesem verhassten Snape lag.
Ironischerweise haben gerade Kirchen und fromme Christen diese Harry-Potter-Romane abgelehnt, weil sie vordergründig von Hexen und Zauberern handeln, die laut Bibel abgelehnt werden, ohne zu erkennen, wie sehr diese Romane die Erlösung durch den Tod und die Auferstehung Christi, davon, wie Gottes Liebe den Tod und das Böse besiegt, nachzeichnen. Nicht ohne Grund hat sich die Autorin als Erwachsne taufen lassen. Und doch haben sie diese Geschichte abgelehnt, ohne zu erkennen, wie sehr diese Romane Jugendliche zu Mitgefühl und Akzeptanz des Unvollkommenen und anderen, fremden befähigen, wie jetzt eine Untersuchung herausgefunden hat.
Und vielleicht verstehen Jugendliche, die „Harry Potter“ gelesen haben, gerade die Passionsgeschichte Jesu besser als manch anderer, weil Harry Potter wie Jesus lernen muss, den eigenen Tod anzunehmen, und wie Auferstehung möglich sein kann, wenn nur der Glaube da ist.
Der äußere Schein trügt manchmal. Wer ist nun Judas? Mit wem haben wir es zu tun?
Im Lukasevangelium heißt es: Noch während Jesus redete, tauchte plötzlich eine Schar Männer auf, an ihrer Spitze Judas, einer der Zwölf. Er ging auf Jesus zu, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen. Jesus aber sagte zu ihm: »Judas, mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn?«
Als die, die bei Jesus waren, begriffen, in welcher Absicht die Männer gekommen waren, fragten sie: »Herr, sollen wir zum Schwert greifen?« Und einer von ihnen ging auch gleich auf den Diener des Hohenpriesters los und schlug ihm das rechte Ohr ab. Aber Jesus rief: »Halt! Hört auf!« Und er berührte das Ohr des Mannes und heilte ihn.
Dann wandte er sich zu den führenden Priestern, den Offizieren der Tempelwache und den Ältesten, die gegen ihn angerückt waren, und sagte: »Mit Schwertern und Knüppeln seid ihr ausgezogen, als wäre ich ein Verbrecher. Dabei war ich doch Tag für Tag bei euch im Tempel, und ihr habt nichts gegen mich unternommen. Aber jetzt ist eure Stunde gekommen, jetzt übt die Finsternis ihre Macht aus.«
Judas verrät Jesus, eine Verfehlung, die ihresgleichen sucht, aber die anderen Jünger gehören damit nicht automatisch auf die Seite der Gerechtigkeit. Ein Jünger greift sogleich zum Schwert und muss von Jesus zurückgepfiffen werden, ja, Jesus heilt selbst in dieser Situation der Bedrohung die Wunde dessen, der ihn verhaften soll, die Wunde, die einer seiner Jünger geschlagen hatte.
Und davor erscheinen die Jünger als eine Anhängerschaft, wie ihm zwar nachfolgt, die aber auch nicht so recht weiß, was sie mit Jesu Worten anfangen soll, die oft genug von Jesus zurechtgewiesen werden, korrigiert werden, deren Glaube oftmals klein und schwach ist. Und Petrus hat seinen Verrat ja noch vor sich, wenn er Jesus verleugnen wird auf die Frage: „Du warst doch auch einer von seinen Jüngern!“ - „Wer, ich? Ich kenne den Mann nicht!“
Die Macht der Finsternis wirkt auch in die Jünger hinein, in alle Jünger hinein, nicht nur in Judas. Und das heißt: auch in jeden ud jede von uns hinein. Niemand kann sich da herausnehmen, sich besser stellen, niemand kann abschätzig auf Judas herabblicken, diesen skandalösen Verräter. Wer weiß, was ich getan hätte an Bösem, wenn ich der Meinung wäre, etwas Richtiges zu tun?
Am Ende, als der böse Lord Voldemort Harry Potter tatsächlich getötet hat, als der Kampf verloren scheint, tritt Neville Longbottom dem Bösen entgegen, dieser Neville, der der unfähigste von allen Zauberschülern ist, der Trottel vom Dienst, er humpelt vor den dunklen Lord, und redet zu ihm: „Ich möchte etwas sagen. Dass Harry tot ist, ändert nichts. Tag für Tag sterben Leute, Freunde, Verwandte, ja, heute haben wir Harry verloren, aber er ist noch bei uns, hier drin, genau wie Fred, Rhemus, ihr Tod war nicht sinnlos, aber Ihrer wird es sein, weil Sie im Unrecht sind. Harrys Herz hat für uns geschlagen, für jeden von uns. Es ist nicht vorbei!“
Und in diesem Moment des Glaubens lebt Harry plötzlich wieder, wacht auf aus dem Tod und damit beginnt der Sieg über den Tod und das Böse: durch diesen Glauben, durch diese Liebe.
Dann ist es nicht vorbei! Niemals! Selbst einen wie Neville, den Verlierer, wie Petrus, den Schwächling, ja wie Judas, den Verräter – selbst für einen solchen schlägt Jesu Herz.
Denn Gott ist nicht Mensch geworden für die Perfekten, die sowieso alles richtig machen, wenn es sie denn überhaupt gibt, nicht für die Reinblütigen, sondern für die, auf deren Herz die Finsternis Macht ausübt. Und um diesen Herzen Licht zu schenken.
So gesehen sind wir alle Petrus, Judas, Neville Longbottom, nicht perfekt, aber mit der Möglichkeit das im Glauben, manchmal mehr, manchmal weniger deutlich zu sagen: Jesu Tod war nicht sinnlos, denn sein Herz hat für uns geschlagen, für jeden von uns. Es ist nicht vorbei mit uns! Niemals!
Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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