Gottesdienst Predigt 28.01.2018

Predigt zu Prediger 7,15 – 18 - Pastor Henning Hinrichs

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.


Liebe Gemeinde,
„Das Leben ist schön!“ - Felix Pieper sah diesen Satz auf dem Plakat eines großen Reiseanbieters, und schüttelte den Kopf. Er dachte natürlich an die Urlaube zurück, Mallorca, Italien, eigentlich hatte er den ganzen Süden Europas bereist, damals noch mit seiner Frau.
Ja, das war auch schön, schön gewesen, natürlich. Aber wenn er an seine Frau dachte, versetzte ihm das immer noch einen Stich, und seit es beruflich enger wurde, waren diese Urlaube auch nicht mehr so regelmäßig drin. Schön, ja, manchmal, immer seltener eigentlich.
Er ging weiter. Nach einigen Metern etwas Religiöses auf einem weiteren Plakat nach Werbung für Fitnessgetränke und Partnerbörsen. „Gott wird deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht und dein Recht wie den Mittag. (Psalm 37,6)“ Schöner Satz - aber Blödsinn. Denn wenn das Leben etwas ist, das wusste Felix Pieper, schön mag es ja manchmal sein, aber gerecht ist es jedenfalls nicht. Ob nun mit oder ohne Gott.
Heute zum Frühstück bombardierte die Türkische Armee kurdische Orte in Syrien und niemand schien sich dafür zu interessieren. Und dass er nach der letzten kleinen Gehaltserhöhung plötzlich mehr Steuern bezahlen musste und letztlich weniger hatte, das sollte ihm mal jemand erklären. Und dass ihn sein Vater seit Jahren ignorierte - warum eigentlich? Er wusste es nicht. Und Frau Schlüter, die er am Sonntag, wenn er Brötchen holte, fast immer auf ihrem Weg zur Kirche traf: vor drei Wochen wurde Krebs festgestellt und jetzt liegt sie schon unter Erde. Gerechtigkeit?! Mein Gott, träum weiter!
Da hat einer ein richtig gutes Leben geführt, hat stets versucht, gut und liebevoll mit den Menschen umzugehen, und hat auch Gott gewiss nicht vergessen dabei, wie Frau Schlüter. Jeden Sonntag zur Kirche! Und dann bricht es über einen herein: Unglück im Betrieb, oder Krankheit, oder der Tod eines nahen Angehörigen, der eigene, oder gleich alles zusammen: Warum muss es gerade mich treffen? Womit habe gerade ich dass alles verdient?
Als ich vor 9 Jahren das erste Mal an dieser Stelle eine Predigt gehalten habe, war der Predigttext aus dem Buch des Predigers Kohelet. Dieses bekannte: Alles hat seine Zeit, das Gute wie das Schlechte. Leben ist nicht nur schön, nicht nur hässlich, es ist immer mal etwas von allem, und es gehört alles dazu.
Als Kohelet dieses Fazit zieht, ist das seine Antwort auf diese Fragen: Warum muss es gerade mich treffen? Und wo ist dabei Gott? Wo ist da Gerechtigkeit? Er kannte das, dass man von seiner Frömmigkeit, von der Anzahl und Länge der Gebete und Gottesdienstbesuche, von der Menge der Hilfe, die du gibst, der Liebe, die du verschenkst, des Friedens, den du bewirkst, dass man von all dem nicht darauf schließen kann, ein gutes, gesundes und glückliches Leben geschenkt zu bekommen. Es gibt den Gerechten, der Leid ertragen muss, wie den Gottlosen und Bösen, dem es blendend geht bis zu seinem Tod.
Kohelet kannte das alles. Sein Fazit: Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden, sterben, pflanzen, ausreißen, töten, heilen, abbrechen, bauen, weinen, lachen, klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit.
Die Vorstellung von der Auferstehung, einem Leben nach dem Tod, kannte er nicht, er konnte sich nicht sagen: gut, wenn es schon hier nicht immer gerecht zugeht, dann später in einem anderen Leben wenigstens. Mancher Christ mag sich damit auch beruhigen: Hier erleide ich Widerwärtigkeiten, aber im Himmel, dort wird alles gut.
Der Prediger konnte das noch nicht sagen und viele Menschen heute können es nicht mehr sagen. Nur 28 % der Westdeutschen glauben noch an ein Leben nach dem Tod. Das ist keine gute Basis, um mit diesem Argument zu kommen. Ich kann diese Vorstellung haben, aber wie viele werde ich damit überzeugen?
Der Prediger hat diese Fragen hin und her bewegt und nach allen Richtungen gedreht und gewendet, und ist schließlich für sich zu diesem Ergebnis gekommen: Eine Antwort auf diese Frage lässt sich nicht finden. Alles kommt vor. Wenn es einen Plan gibt, kann ich ihn nicht erkennen. Gott ist im Himmel und du auf Erden – mehr lässt sich dazu nicht sagen.
Aber immerhin, er bleibt dabei: Gott ist im Himmel! Er entsorgt sein Gottvertrauen nicht, sondern hält es fest, auch wenn er nicht dahinter kommen kann, warum dieses Leben mit seinen Anforderungen und Nöten nun gerade so in Ordnung sein soll, so, wie es eben gekommen ist.
Ich kenne das ja von mir: Es wäre doch so schön herauszubekommen, was Gottes Wille mit mir ist, wo er in mein Leben gewirkt hat, was der Plan, der Sinn ist in all dem. Mehr lässt sich dazu nicht sagen, auch wenn ich gerne gerade hier mehr wissen wollte und es so schwer ist, sich damit zu begnügen. Das Leben so nehmen, wie es ist. Und so schreibt der Prediger Kohelet:
Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. Deshalb sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Ein seltsamer Text, oder? Hier von der Kanzel werden normalerweise Texte vorgestellt, die Gläubige dazu anhalten sollen, fest zu glauben und stets Gutes für andere zu tun. Sich allein von der Liebe leiten zu lassen und Gott zu suchen in allem.
Und jetzt kommt dieser Kohelet und sagt: Sei nicht allzu gerecht und weise, aber sei auch nicht allzu gottlos. Hm.
Als Felix Pieper schon im Bus saß, dachte er noch über Frau Schlüter nach. Manchmal, wenn er sonntags früher los kam und sie auch noch etwas Zeit hatte, kamen sie sogar ins Gespräch. Sie war eigentlich ganz nett und ihre Beharrlichkeit Sonntag für Sonntag rang ihm auch Bewunderung ab. Wenn sie nicht ständig von Gott geredet hätte. Und wie dankbar und wunderbar alles war, weil Gott sie segne und so weiter und so weiter. Er hatte eher das Gefühl, dass ihn diese Gespräche von ihr entfernten, und das sie auch nicht so richtig bei ihm war, und schon gar nicht, dass er über Frau Schlüter vielleicht auch mal Gott, na ja, man weiß ja nie, ob er, na ja, Gott kennen lernen würde. Jetzt ist es raus...
Aber war er da besser als die superfromme Frau Schlüter? Ihm war ja schon seit längerem alles egal. Wie eben, als er da neben den Plakaten stand. Das Leben ist schön! Gerechtigkeit! Ist doch traurig, wenn das in einem gar nichts mehr regt, und sei es der Wunsch, dieses Leben schöner und gerechter zu machen. Nein, es ist oftmals nicht schön, es ist nicht unbedingt gerecht, aber dann tu doch wenigstens etwas dafür, dass es schöner und gerechter wird! Aber er? Das hat sie wohl doch getan, die Frau Schlüter, Gott hab sie selig.
Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.
Kohelet will mit diesen Worten nicht Menschen auffordern, ungerecht und gottlos zu sein, nur noch an sich zu denken und Gott aus ihrem Leben zu entsorgen. Beten, Glauben, Helfen, Erforschen bleiben wichtig.
Aber er kennt das Leben und wie oft es eben vorkommt, ob man das will oder nicht, dass man ungerecht und herzlos handelt, wie leicht es ist, Gott zu vergessen. Es ist wie es ist, auch das hat wohl seine Zeit.
Es geht ihm um die Extreme, um dieses Allzusehr. Und nicht nur ein Leben ohne Gott ist eine Gefahr, auch extreme Frömmigkeit kann einen krank machen. Der, der es übertreibt mit seiner Gerechtigkeit und Weisheit, mit seiner Gotteshinwendung, und der andere, der Gott aus seinem Leben entsorgt hat, der Wahres einfach ausblendet.
Sie gehören doch ganz nah zusammen: Sie wollen es beide erzwingen, das bessere Leben, das Glück. Dem einen muss es ohne Gott gelingen, und der andere will es gerade mit Gott schaffen. Beide wollen das Leben gerade nicht nehmen, wie es kommt.
Natürlich kann der Gottlose nicht auf Gott vertrauen, an den er doch nicht glaubt, sondern er hält sich an die Meinung: Jeder ist seines Glückes Schmied. Er hält sich an sein Vermögen, allein das zählt. Und was dann dabei herauskommt, sieht man dann auch! Und die, die da am Wegesrand lungern, die haben doch selbst schuld, waren nicht energisch genug, haben ´s nicht gebracht. Es liegt allein an dir!
Aber auch der besonders Fromme hat seine Meinung: Übergib dein Leben Jesus, dann wird es dir gelingen, dann wirst du glücklich werden! Fester Glaube gleich sicheres Glück. Ja, und wenn es dann nicht gelingt, dann hast du wohl nicht genug geglaubt, denn Gott erfüllt ja unsere Gebete. Es liegt allein an dir!
Kohelet kennt sie beide und er kennt das Leben. Vorsicht, sagt er, mit beidem kannst du dich zugrunde richten. Er weiß, dass es da nicht immer so läuft, wie wir das haben wollen. Es glückt nicht immer. Es liegt nicht immer an dir.
Gott ist im Himmel und auf Erden. Du bist nur auf Erden. Du kannst es nicht durchschauen, dieses Leben, und Gott kannst du auch nicht durchschauen. Er ist da, immer da. Aber begeh nicht den Fehler, es zu übertreiben. Alles, auch das, was du für richtig hältst, kann dich krank manchen, wenn du es übertreibst, wenn du meinst, alles zu durchschauen. Du tust es nicht.
Denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen. Dieser alte Ausdruck „Gott fürchten“ hat eigentlich nicht so sehr mit Furcht zu tun, wie wir das gebrauchen, also als negatives Gefühl von Angst, Erschrecken, wie ein Kaninchen, das in jedem Moment damit rechnen muss, gefressen zu werden.
Gottesfurcht hat mehr mit Ehrfurcht, dem Anerkennen der Größe Gottes zu tun. Dem Bewusstsein, dass mein Leben in Gottes Hand liegt – es liegt nicht immer an mir. Und damit berührt die Gottesfurcht sich mit meinem Vertrauen in, mit meinem Glauben an Gott.
Glaube an Gott führt dazu, das Leben so nehmen zu können, wie es ist. Und zu wissen, was man nicht weiß. Zu wissen, was man tun kann und was nicht.
Als Felix Pieper in der Nähe des Supermarktes aus dem Bus stieg, wankte gerade diese alte Frau, bepackt mit, waren es sechs, Einkaufstüten, an ihm vorbei. Er hatte mal gehört, dass sie ihren Mann vor ein paar Jahren verloren hatte, und sich jetzt zäh durchs Leben biss. Aber diese Einkaufstüten waren vielleicht doch zu viele, zu schwer, zu voll.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Er erschrak über seine eigenen Worte, er klang plötzlich so weich, so freundlich. „Das ist ja schön. Sehr nett von Ihnen. Sie schickt der Himmel!“ „Na ja, …aber helfen kann ich ihnen schon...“
Als sie weitergingen, er links und rechts zwei Einkaufstüten, als er von ihr erfuhr, wie schwer es manchmal für sie war, wie sie ihren Mann vermisste, aber sie noch genug Kraft hätte, und jeder Tag doch ein Geschenk für sie sei, da dachte Felix Pieper: „Das Leben ist schön.“

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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