Gottesdienst Predigt 03.12.2017

Predigt zu Jeremia 23, 5 – 8 - Pastor Henning Hinrichs

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,
da war es wieder, dieses Unwort, eben in der Lesung. Haben Sie es gehört? Ein Unwort ist ja z.B. eines, das ständig gesagt wird, mit dem aber eigentlich schon lange keiner mehr etwas anfangen kann. Und trotzdem wird es ständig gesagt. Weil ´s schick ist und irgendwie doch alle zustimmen, irgendwie. Da war es nämlich: Es kommt „ein Gerechter“. Was soll das sein, Gerechtigkeit?
Die SPD hat im letzten Bundestagswahlkampf ja massiv damit geworben: „Mehr Gerechtigkeit“ - aber geholfen hat es ihr wenig bis gar nicht. Entweder weil Menschen nicht mehr Gerechtigkeit wollen, was mich überraschen würde. Jedenfalls für sich selbst will man ja doch wenigstens den gleichen Teil vom Nachtisch – diese Form der Verteilungsgerechtigkeit kennen ja schon Kinder.
Oder es hat damit zu tun, dass niemand mehr so recht weiß, was denn nun Gerechtigkeit genau ist – über bloße Verteilung des Nachtisches zu gleichen Teilen hinaus. Das ist ja auch verzwickt an der Gerechtigkeit. Manches lässt sich nicht einfach aufteilen.
Vielleicht kennen Sie eine ähnliche Situation: Eine Frau sitzt in der Bahn zwischen zwei Männern. Diese zwei Männer kriegen sich in die Haare, ob das Fenster geöffnet werden oder geschlossen bleiben soll. Der Mann, der am weitesten vom Fenster entfernt sitzt, behauptet, dass er an einem Hitzschlag sterben werde, wenn das Fenster zu bliebe. Der Mann, der neben dem Fenster sitzt, behauptet, dass er an einer Lungenentzündung sterben werde, wenn das Fenster geöffnet würde.
Der Schaffner kommt, um die Karten zu kontrollieren, und die zwei Männer fordern ihn sofort auf, als Schiedsrichter einzutreten und zu bestimmen, ob das Fenster offen oder zu bleiben soll. Aber der Schaffner wagt es nicht, ein Urteil zu sprechen.
Die Frau, die zwischen diesen zwei Männern sitzt, hat jetzt genug von diesem Spiel. Also sagt sie zum Schaffner: „Öffnen Sie bitte das Fenster; das wird den einen Mann umbringen. Schließen Sie danach das Fenster; das wird den anderen umbringen. Danach haben wir endlich wieder Ruhe und Frieden.“
Ist es gerecht, das Fenster zu öffnen, weil es zu heiß ist, oder es zu schließen, weil es zu kalt wird? Darauf gibt es keine Antwort. Denn die beiden Männer verwechseln ihre persönlichen Bedürfnisse und Ängste mit dem, was gerecht oder richtig ist. Für die Frau ist etwas anderes wichtig: gerecht ist es, wenn es Ruhe und Frieden gibt. Nur müsste dann jeder der Männer auf seine Bedürfnis nach mehr Wärme oder Kälte verzichten.
Sie haben wahrscheinlich sofort eine Lösung für diesen Konflikt im Kopf gehabt, oder? Wenn man das Fenster eine kurze Zeit öffnen, dann wieder schließen, dann wieder öffne und so weiter würde, und so eine mittlere Temperatur erzeugen könnte, wäre das gerecht? Allerdings wäre die mittlere Temperatur für beide auch nicht ideal, aber solange Menschen beim entweder oder stehen bleiben, gibt es keine Gerechtigkeit, es gibt nur die Auseinandersetzung oder schließlich – wie hier – das in Kauf genommene Ableben der Konfliktparteien. Eine hätte dann Frieden, aber dafür liegen rechts und links die Leichen! Ist das gerecht?
Und weil das so unglaublich schwer ist, flammt immer wieder die Hoffnung auf, dass da jemand kommen wird, der das im Alleingang durchsetzt, weil wir Menschen es einfach nicht schaffen, manchmal vielleicht gar nicht mehr wissen, was wirklich gerecht ist, wie Ruhe und Frieden herzustellen sind. Es reicht eben nicht, von Gerechtigkeit zu reden ohne es konkret zu füllen oder umzusetzen.
Die Adventszeit ist das Warten auf die Gerechtigkeit und den Frieden, den Gott durch seinen Sohn Jesus Christus schenken wird. Diese Zusage ist im Kern älter als das Christentum. Schon das Judentum kannte die Verheißung eines Heilands, des göttlichen Friedensbringers, die dann von den Christen verständlicherweise auf Christus bezogen wurde
Wie etwa beim alttestamentlichen Propheten Jeremia: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR ist unsere Gerechtigkeit«. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.
In dieser Verheißung passiert etwas Neues. Bislang hatte sich Israel immer an die eine Großtat Gottes erinnert und daraus Kraft geschöpft, dass er sie damals zu Zeiten Mose aus Ägypten geführt hatte, aus der Sklaverei in die Freiheit. Das war sozusagen Israels Gottesbeweis. Unser Volk gibt es, weil Gott uns damals gerettet hat: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.
Aber hunderte Jahre später war Israel wieder unfrei, war nach Babylon deportiert, wieder versklavt. Ihre Könige hatten sich im Spiel mit den Großmächten bitter verschätzt, und Israel war dabei unter die Räder gekommen.
Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.
Es ist Zeit für einen neuen Gottesbeweis, aus dem man Hoffnung schöpfen und leben kann. Es reicht nicht mehr, sich auf dem bereits Erreichten auszuruhen. Jetzt ist die Situation eine andere und genauso schlimm wie damals, jetzt müssen Gerechtigkeit und Frieden kommen.
Jetzt.
Es geht im Advent nicht bloß um Vergangenheit, um alte Rituale, sondern es geht uns heute an. Natürlich bleibt die Herausführung aus Ägypten ein
entscheidender Punkt für jeden Juden. Aber dass der Herr lebt und weiter die Welt regiert, darauf kommt es an.
Ägypten und Babylon betreffen uns nicht. Dafür gilt: So wahr Gott lebt, hat er Christus in die Welt gesandt. Das ist für uns das zentrale Ereignis der Vergangenheit. Dazu gehört untrennbar aber auch: Er kommt auch noch heute!
Solange wir hier auf Erden leben, wird es niemals eine wirklich gerechte Gesellschaftsordnung geben, wird die Ungerechtigkeit niemals aus unserem Leben, aus unserem Zusammenleben verschwinden. Unsere Welt bleibt davon gezeichnet, dass wir Menschen mit Bedürfnissen und von Gottes Gerechtigkeit weit entfernt sind – das nennt man theologisch: dass wir Sünder sind, von Gott Getrennte. Das können wir auch mit noch so vielen Appellen nicht ändern.
Vielleicht lässt das etwas gnädiger auf das schauen, was Politiker in dieser Welt versuchen. Wenn es ihnen hier und da gelingt, in dieser kaputten Welt mehr Gerechtigkeit zu schaffen, dann wär das doch auch schon ein Grund, Gott dafür zu dankbar, auf jeden Fall sollten wir von Politikern nicht erwarten, was allein der Messias zu schaffen vermag.
Vielleicht können die beiden Männer ja doch eine Wohlfühltemperatur zwischen zu heiß und zu kalt finden. Das ist mühsam, aber es ist es wert.
Dieser Messias Jesus ist mit dem, was er getan hat, noch nicht fertig. Der wird tatsächlich einmal eine neue Welt schaffen, in der nur noch Gerechtigkeit herrschen wird, in der auch wir einmal für immer zu Hause sein werden. Ja, auch dich will er in dieser neuen Welt mit dabei haben, auch dich.
Deshalb: Verliere dies Ziel bei aller Enttäuschung über die Ungerechtigkeit in dieser Welt niemals aus den Augen; gib darum auch nicht frustriert auf, wenn es darum geht, um Gerechtigkeit in dieser Welt zu kämpfen. Das entscheidende und wichtigste Gerechtigkeitsproblem in deinem Leben, das hat Christus für dich doch schon gelöst. In seiner Liebe, die die Trennung zwischen Mensch und Gott überwindet. Du bist gerecht durch Gottes Liebe. „Der HERR ist unsere Gerechtigkeit“. Machen wir etwas draus.
Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.