Predigt zu Römer 10,9–17(18) – Pastor Henning Hinrichs
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde!
Was muss passieren, damit ein Mensch an Gott und an Jesus glaubt? Wie entsteht so ein Glaube? Hat der Glaube etwas mit dem Gehirn eines Menschen zu tun? Ein amerikanischer Hirnforscher meinte aufgrund seiner Forschungen eine Art "Religionszentrum" im Hirn nachweisen zu können, da irgendwo im Bereich der Schläfenlappen, da geschieht Glaube, so ist seine Überzeugung.
Passiert der Glaube wirklich im Kopf? Und gibt es dann vielleicht auch von Natur aus religiösere Menschen als andere, weil in ihrem Hirn bestimmte Regionen aktiver sind als bei anderen?
Paulus schreibt: Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? ...So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.
Glaube ist in erster Linie keine Sache des Gehirns. Paulus redet hier von einem ganz anderen Organ, das bei der Entstehung des Glaubens eine entscheidende Rolle spielt. Es ist nicht das Gehirn, es ist das Ohr. Mit dem Hören fängt es an. "Der Glaube kommt aus der Predigt", so übersetzt Luther. Wörtlich übersetzt müsste es heißen: Der Glaube kommt aus dem Hören, also auch aus dem Predigthören, nicht nur, aber doch auch.
Nun wollen über 90 Prozent der Deutschen das Sonntag für Sonntag aber gar nicht. Und dann: Wer kann denn heute noch einer Predigt zuhören? Menschen des 21. Jahrhunderts sind es so vom Radio gewöhnt: Wortbeiträge eines Einzelnen dürfen zwei Minuten nicht überschreiten. Dann kommt wieder Musik. Im Fernsehen ist es ähnlich. Wir können stundenlang Filme schauen, alle zwei Sekunden ein neuer Schnitt, eine neue Einstellung. Aber wer hört sich denn eine Rede im Fernsehen an, die länger als ein paar Minuten dauert?
Und schließlich: Eine Tageszeitung hat als Ergebnis einer Befragung von 5000 evangelischen und 5000 katholischen Bundesbürgern über die Wirkung der Predigt festgehalten: Von 100 Kirchenbesuchern können nach Schluss des Gottesdienstes nur ganze vier inhaltlich wiedergeben, was in der Predigt gesagt wurde. 36 Prozent, mehr als ein Drittel, haben, wenn sie die Kirche verlassen, überhaupt keine Erinnerung mehr an die Predigt. 32 Prozent, ein weiteres Drittel, haben die Predigt ihrem Inhalt nach falsch verstanden. Und 28 Prozent, wieder fast ein Drittel, haben das Gesagte nur ganz oberflächlich im Gedächtnis.
Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? ...So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. Ob das so ist, wenn mangelnde Hörbereitschaft und Hörfähigkeit dem Wort Gottes gegenüber stehen. Wenn es doch viel einfacher ist, gar nicht erst an Gott zu glauben.
Neulich sagte mir jemand in einem Gespräch: „Wissen Sie, ich finde das ja irgendwie verrückt, dass Menschen an einen Gott glauben, den sie nicht sehen, nicht beweisen können!“
Ich habe geantwortet: „Wissen Sie, ich würde verrückt werden, wenn ich nicht an einen Gott glauben dürfte und könnte, den ich nicht sehe. Ich würde verrückt werden, wenn ich nicht glauben würde, dass da eine Macht am Werke ist in dieser Welt, die höher ist als menschliche Macht und Vernunft; die nicht aufgeht in dem, was unsere Kraft vermag! Ich würde verrückt, wenn ich nicht davon ausgehen könnte, dass nicht alles in Menschenhände fällt!
Nur, weil ich das weiß, dass Gott seine Hand im Spiel hat, kann ich aufstehen, anpacken, widersprechen, wenn es notwendig ist. Weil ich weiß, dass nicht alles bleiben muss, wie es ist, dass nichts unabänderlich ist, sondern alles vorübergehend, veränderbar, habe ich den Mut, dem nachzufolgen, der das Schwache sucht und stark macht.“ Ja, in der Tat: das Wort Gottes kann diese Welt ver-rücken! Muss sie ver-rücken – sonst würden wir verrückt!
Die biblischen Texte des heutigen Sonntags weisen daher eindringlich auf das Zentrum des Glaubens. Glauben heißt: Leben mit Gott, leben mit Christus. Doch quer zu allen Zahlenverhältnissen geht es in den Texten um die Intensität, um die Qualität unserer Gottesbeziehung und unserer Beziehung als Gemeinde: Darum, dass jeder und jede von uns mit Gott lebt, also Beziehungspflege übt, wie wir das zusammen auch hier im Gottesdienst miteinander tun – weil Gott selbst in Beziehung tritt mit seinen Geschöpfen; weil Gott selbst nicht bei sich bleibt.
Glauben heißt: Mit Gott rechnen in dieser Welt. Sich zu ihm wenden mit meinem Leben. Leben mit Gott heißt, die Sinne zu schärfen und frei zu sein für das Gute, das Gott auf mich zukommen lässt in seinem Wort an mich. Daraus kriecht alles, sagt Martin Luther, der Glaube, die Liebe, das Beten; aus dem Wort, das Fleisch wird, das laut wird immer neu.
Und wie gesagt: Mit dem Hören fängt alles an. Nehmen Sie etwa Babys. Der Sinn, der gleich zu Beginn ausgebildet ist, ist nicht die Fähigkeit zu sehen, sondern die zu hören. Das eigene Geschrei, die Stimme von Mutter und Vater, die neben dem guten Gefühl auf der Haut, der Wärme und dem Geruch, dem Kind die Sicherheit geben, geborgen zu sein durch die vertrauten Geräusche. Und da ist es egal, ob es das schon versteht, es ist der Klang der Geborgenheit.
Das Ohr ist das erste Sinnesorgan, das im Mutterleibe ausgebildet wird. Da schon weiß der Mensch: ich bin nicht allein, werde nicht allein sein. Weil da einer redet, werde ich wachsen und vertrauen können. Was uns auf den Kopf zugesagt wird, kann uns zur Wahrheit werden, kann uns orientieren oder in die Irre laufen lassen.
Und Gott redet. Manchen sagen ja: ich kann nur glauben, was ich sehe. Das is der falsche Ansatz: Sie mpssten leerne zu sagen: ich kann nur glauben was, ich höre – das tun sie nämlich von Anbeginn ihres Lebens: Hören.
Weil Gott redet, wissen wir, wohin es gehen kann mit der Welt und mit uns. Weil er uns anredet, lernen wir selber reden, antworten. Und sei es nur durch die Bibel, oder durch mehr oder weniger begabte Prediger. Vielleicht ist ja gar nicht so sehr die Qualität der Predigt ausschlaggebend, sondern die Bereitschaft, da etwas heraushören zu wollen. Es ist ja gar nicht so verkehrt, manchmal gar nicht mehr so genau sagen zu können, was das in der Predigt genau vorkam. Besser sollte gefragt werden: Was ist bei Ihnen, vielleicht nur durch einen Satz, angestoßen worden, wo sind sie hingeflogen in ihren Gedanken und war da nicht auch Gott. Darüber kann jeder/jede reden.
Reden lernt das Kind, weil es hört und dann nach-spricht, was es hört. So wächst der Glaube aus dem Hören, aus dem, was wir in uns hinein lassen, bergen bei uns, mit Staunen oder auch mit Ehrfurcht aufnehmen.
Prediger ist jeder und jede von uns, der oder die Zeugnis gibt in Wort und Tat von der Hoffnung, die in uns ist.
Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.
Glaube braucht zuerst Lust am Wort, lebt aus und von der Begeisterung für die Sache Gottes. Paulus nennt das große Plus des Glaubens Rettung oder gerechtfertigt Sein. Begriffe, die heutigen Menschen wohl nicht zwingend geläufig sein.
In evangelikalen Kreisen wird oftmals nach dem einen Erweckungs- oder Bekehrungserlebnis gefragt. Wann hat Gott dich zum Glauben geführt. Und dann wird meist ein bestimmter Tag genannt, gelegentlich auch eine bestimmte Uhrzeit.
Bei mir ist das eher so, dass ich diesen einen Zeitpunkt gar nicht benennen kann, so wie ich keine Erinnerung an meine Geburt habe, aber ich habe in der Folge die Situationen erlebt, von den Paulus hier spricht. Ich habe erlebt, wie ich berührt worden bin von den Worten dieses Jesus Christus, sie mir vieles über mich und mein Leben gesagt haben, wie ich gestaunt habe über das, was da in seiner Auferweckung passiert ist, und zwar nicht nur für ihn, sondern ja auch für mich, für Sie. Und wie ich selbst, nicht nur als Pastor, sondern in ganz alltäglichen Situationen und viel früher das auch bekannt habe, davon erzählt habe, oftmals weil ich gefragt worden bin.
Es gab nicht das eine große Erweckungsereignis, es gab und gibt aber immer wieder kleine, in denen ich spüre und weiß, dass Gott bei mir ist und mich und mein Leben erfüllt, Momente, in denen ich glaube und mir dessen bewusst werde. Ich glaube! Ich bin getauft! Gott begleitet mich und hilft mir.
Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.
Vielleicht ist das ja schon die Rettung, von der Paulus spricht, dass ich den Grund für mein Leben gefunden habe, der mir Kraft gibt für all die Aufgaben, die ich zu schultern habe, und Freude an allem in meinem Leben. Dass mir dieser Glaube, dieses Vertrauen in Gottes Nähe hilft, sowohl das Schöne, das ist ja leicht, aber eben auch das Schwere hinein zu nehmen in den Sinn, den ich in meinem Leben zu sehen versuche.
Also: Wir sollten niemals aufhören zu hören. Und weiterzusagen, was uns einleuchtet und was wir verstehen, nicht mit dem Schläfenlappen, sondern mit Ohr und Herz.
Amen