Predigt zu Epheser 5, 15 – 21 - Pastor Henning Hinrichs
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
was mir ständig begegnet im Alltag, ob nun in Gesprächen, Info- und Werbemails, in Zeitungen oder im Fernsehen, sind Empfehlungen und Ratschläge und Tipps. Meist habe ich nicht darum gebeten, trotzdem gelange sie mir ans Ohr oder vor die Augen. Was ich schon alles gelesen, getan, gedacht, geschrieben haben sollte – unbedingt!
Und was mir so entgegen springt an Ratgebern, wie auch mein Leben gelingen kann, an Coachingprogrammen, wie auch ich Erfolg haben kann, an Weisheiten, wie auch ich zu mir selbst finden kann, das kann manchmal, also wirklich, geradezu nerven. Besonders der regelmäßige Hinweis, dass ich mir doch bitte einen Treppenlift zulegen sollte, der sei wirklich hilfreich. Sicher, aber in unserer Pfarrwohnung gibt es gar keine Treppen!
Natürlich sind da manche gute Sachen bei und natürlich gibt es hochkompetente Coaches und Lebensberater. Aber manchmal scheint es mir, alle Welt sieht in mir einem unmündigen und unglücklichen Menschen, der unbedingt mehr Glück braucht. Mehr gibt es natürlich immer – mehr bewegen, mehr reden, mehr Zeit für dich selbst, mehr machen, mehr lachen, mehr nachdenken, mehr Stille.
Aber je mehr man „Mehr“ will, desto weniger geht irgendwann doch noch mehr, schon allein, weil meinTag auch nur 24 Stunden hat. Wer immer nur mehr will, verliert vielleicht irgendwann das, was er sucht, weil er sich verliert in dem immer noch mehr.
Was also ist zu tun, was ist wirklich wichtig zu tun?
Die Bibel weiß es natürlich, es geht auch da kurz und knapp: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften«. Und »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese“ (Mk 12, 29-31). Das hat Jesus einmal kurz zusammen gefasst.
Aber schon den neutestamentlichen Schriftstellern reichte das offensichtlich nicht. Die Lebensführung eines Christen solle doch ganz bestimmten Vorschriften und Geboten unterliegen. Und so heißt es im Epheserbrief, dem heutigen Predigttext: Gebt also sorgfältig darauf Acht, wie ihr lebt! Verhaltet euch nicht wie unverständige Leute, sondern verhaltet euch klug. Macht den bestmöglichen Gebrauch von eurer Zeit, gerade weil wir in einer schlimmen Zeit leben. Lasst es daher nicht an der nötigen Einsicht fehlen, sondern lernt zu verstehen, was der Herr von euch möchte. Und trinkt euch keinen Rausch an, denn übermäßiger Weingenuss führt zu zügellosem Verhalten. Lasst euch vielmehr vom Geist ´Gottes` erfüllen. Ermutigt einander mit Psalmen, Lobgesängen und von Gottes Geist eingegebenen Liedern; singt und jubelt aus tiefstem Herzen zur Ehre des Herrn und dankt Gott, dem Vater, immer und für alles im Namen von Jesus Christus, unserem Herrn. Ordnet euch einander unter; tut es aus Ehrfurcht vor Christus!
Gleich der nächste Satz gehört nicht mehr zum Predigttext dieses Sonntages, vielleicht weil er, anders als die vorherigen, denen man irgendwie noch zunicken kann, heutzutage dann doch seltsam altmodisch wirkt, ein spezieller Ratschlag an die Frauen: Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn.
Das also soll es sein: sorgfältige Lebensführung nach dem Willen Gottes, ein ordentliches Wesen, das dem Wein entsagt und stattdessen Psalmen und Loblieder singt. Sorgfältig, ordentlich, enthaltsam, dankbar und sich in alldem unterordnend. Diesen Eindruck sollen Menschen von den Christen haben.
Aber war Jesus denn so – ordentlich, enthaltsam, sich stets den anderen unterordnend? Welchen Eindruck er auch auf Zeitgenossen machen konnte, ist in den Evangelien ja überliefert. Lukas schreibt, was andere von ihm hielten: „Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!“ (Lk 7, 34).
Es war wohl bei Jesus eher anders herum. Jesus hat Anstoß erregt, gerade bei den ordentlichen Leuten. Für das Reich Gottes nimmt er das Bild vom großen Festmahl, zu dem Gott einlädt, auf der Hochzeit zu Kana verwandelt er Wasser in Wein, damit weitergefeiert werden kann.
Und er sagt den ehrenwerten Leuten, worauf es ankommt.
Er war zwar auch zu Gast bei ehrenwerten Leuten wie bei Simon, einem Pharisäer. Pharisäer führten ein ordentliches Leben, hielten die vielen damals gültigen jüdischen Gesetze sorgfältig ein, waren enthatsam und dankbar dafür.
Und nun kommt da eine, so wird sie genannt, große Sünderin ins Haus des Simon, geht zu Jesus, weint, salbt ihm die Füße, trocknet sie mit ihrem Haar. Simon kann nicht verstehen, wie Jesus sich von einer solchen Frau überhaupt berühren lässt. Doch der sagt zu ihm: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt, wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“.
Kein Wort von dem unordentlichen Lebenswandel, den die Frau wohl als Prostituierte geführt hat, aber eine große Anfrage an den ordentlichen Lebenswandel des Pharisäers. Er muss sich fragen lassen, ob er denn mit seiner ganzen Ordentlichkeit noch lieben kann.
Natürlich sind Sorgfalt, ein ordentliches Wesen, Enthaltsamkeit, Dankbarkeit und Demut Tugenden, mit denen sich durchaus auch ein Christ kleiden kann und soll, solange sie denn an der Liebe zu Gott und dem Nächsten ausgerichtet sind und nicht an Angst und Pedanterie, Schuldgefühlen oder blindem Gehorsam.
Um nicht in die Falle des „ehrenwerten Hauses“ zu tappen, außen hui und innen pfui, dazu bedarf es eines gewissen Geistes. …lasst euch vom Geist erfüllen, heißt es im Predigttext. Und damit lässt sich dann wohl auch die Zeit richtig und an der Liebe Gottes orientiert nutzen. Luther übersetzt an dieser Stelle mit einem ungewöhnliches Ausdruck, er schreibt: und kauft die Zeit aus. So als wenn die Zeit ein Geschäft wäre, von der man Zeit bekäme, so viel wie möglich. Denn darauf kommt es an: Nutze deine Zeit.
Denn bei den meisten ist es ja umgekehrt: wir verkaufen unsere Zeit, haben keine Zeit mehr und werden bestimmt von all den Dingen, die andere oder wir für wichtig halten. Die Richtung ist viel zu oft, ob nun andere oder wir das zu verantworten haben, vorgegeben.
Kauft die Zeit aus … lasst euch vom Geist erfüllen! Manchmal ist es notwendig, aus dem Trott auszusteigen, sich umzublicken, die Richtung zu überprüfen und das zu tun, was wirklich wichtig ist. Nur wie geht das?
In den letzten Tag war ich in Polen, in dem Gebiet, das einige ältere Reppenstedter als Niederschlesien kennen. An einem Tag sind wir von
Szklarska Poreba mit der Seilbahn einen Teil des dortigen Berges hochgefahren, um dann nach einer Wanderung auf den Szrenica, den Reifträger-Gipfel zu gelangen. Der Gipfel lag in dunklem, nassen Nebel gehüllt und als sich die Seilbahn in Gang setzte, fing es auch gleich an zu regnen. Mein Sohn neben mir sagte, ihm sei kalt und an meinen Händen habe ich es auch gespürt. Das wird wohl eine schlimme Wanderung, am besten wir gehen da ein bisschen herum, damit es nicht ganz sinnlos ist, aber nur kurz, bloß nicht auf den Gipfel, und dann kehren wir um. Das war das Übliche, der Trott, wie man es eben macht, wenn etwas sonderbar erscheint.
Solche inneren Ratgeber kenne ich von mir. Lohnt sich der Einsatz oder wird es nur noch schlimmer, wenn ich mich in etwas hinein begebe? Und oft genug wähle ich die pessimistische Variante: Ach, lassen wir es doch. Ganz banal etwa, wenn es darum geht, in einem Café noch einen Platz zu bekommen. Es wirkt überfüllt, da macht es doch keinen Sinn hineinzugehen, oder? Kann man sich doch gleich die Mühe und Enttäuschung sparen. Und das ist so, wenn man nach dem Umzug, oder nach dem Verlust des Partners eigentlich neue Kontakte knüpfen müsste. Oder wenn man mit Menschen zu tun hat, die einem nicht passen. Lohnt nicht, haste nur Ärger mit.
Wenn etwas dem eigenen Erfahrungsschatz zu entsprechen scheinen, wenn die Ratgeber es immer schon besser wissen, entgeht einem nicht doch manchmal Wichtiges?
Letzten Sonntag haben wir Passagen aus dem Buch „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ gehört, und in allen Gesprächen, die die Autorin mit Sterbenden geführt hatte, zog sich diese eine Erkenntnis durch: es gibt ein zu spät. Es gibt den Zeitpunkt, wo du das Leben, wie es dir richtig erscheint, verpasst hast. Wo du den falschen Ratgebern gefolgt bist, denen in dir oder den anderen. Wie kann ich die Richtung überprüfen und das tun, was wirklich wichtig ist. Wie geht das?
Ich werde mich hüten, jetzt Ratschläge zu geben, aber ich könnte Ihnen einen guten Ratgeber nennen… Im Ernst, liebe Gemeinde, wir machen es doch gerade. Wir haben uns Zeit genommen, atmen durch, füllen Herz und Geist mit Dankliedern, kaufen einmal für eine Stunde die Zeit aus, lassen uns anrühren von der Nähe Gottes, pflegen Gemeinschaft.
Es kann nicht darum gehen, bis ins Einzelne konkrete Verhaltensregeln für Christen vorzugeben. Und ich wehre mich dagegen, wenn jemand mir sagen will, was ich als Christ tun dürfe und was nicht. Denn was neu ist, wird alt und was gestern noch galt, stimmt schon heut oder morgen nicht mehr. Und mehr noch wehre ich mich gegen das Hundertprozentige und die Hundertprozentigen: stets von Gottes Geist erfüllt, stets der bösen Zeit voraus, stets allezeit für alles Gott dankend und stets auf der richtigen Seite.
Es gibt von Antoine de Saint-Exupéry, dem Verfasser des Buches „Der kleine Prinz“ ein Gebet, das hilfreich für mich ist, es heißt „Die Kunst der kleinen Schritte“
Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, sondern um die Kraft für den Alltag. Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte.
Mach mich sicher in der rechten Zeiteinteilung.
Schenk’ mir das Fingerspitzengefühl, um herauszufinden, was erstrangig und was zweitrangig ist.
Schenk’ mir die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch die wir wachsen und reifen.
Erinn’re mich daran, dass das Herz oft gegen den Verstand streikt.
Schick’ mir im rechten Augenblick jemanden, der den Mut hat, die Wahrheit in Liebe zu sagen.
Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft bedürfen. Gib dass ich diesem schönsten, schwierigsten, riskantesten und zartesten Geschenk des Lebens gewachsen bin.
Verleihe mir die nötige Phantasie, im rechten Augenblick ein Päckchen Güte mit oder ohne Worte an der richtigen Stelle abzugeben.
Bewahre mich vor der Angst, ich könnte das Leben versäumen.
Gib mir nicht, was ich mir wünsche, sondern das, was ich brauche.
Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. Amen.
Mit kleinen Schritten sind wir los gewandert. Weil wir eine Gruppe waren, murrte erstaunlicherweise niemand, auch wenn es wirklich sehr steil bergan ging. Der Regen hörte irgendwann auf. Oben auf dem Kamm gingen wir weiter durch Nebel, nur in seltenem Momenten war überhaupt zu sehen, was uns umgab, welche herrliche Aussicht im Tal versteckt war.
Dann erreichten wir doch die Baude auf tschechischer Seite, eine Gaststätte, aßen, kamen wieder zu Kräften, und als wir uns auf den Rückweg machten, war der Nebel plötzlich weg. Welch fantastischer Ausblick, jetzt sahen wir alles klar, erkannten, woran wir alles vorbeigegangen waren, jetzt sahen wir, wie nah das alles um uns war.
Gut, dass wir nicht auf den inneren Ratgeber gehört hatten, gut, dass wir los gewandert waren.
Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.