Gottesdienst Predigt 10.9.2017

Predigt „Wozu ist die Kirche da“ - Pastor Henning Hinrichs

Liebe Gemeinde,
wozu ist die Kirche da? In der zentralen Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche, der Confessio Augustana, steht unter dem 7. Artikel „Von der Kirche“: „Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einträchtig im reinen Verständnis gepredigt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden. Und es ist nicht zur wahren Einheit der christlichen Kirche nötig, daß überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten Zeremonien eingehalten werden...“
Das Evangelium predigen und die heiligen Sakramente reichen, auf unterschiedliche Weise, aber doch in einem Geist. Die Funktion der Kirche ist nach der Confessio Augustana der Gottesdienst, weil hier die Botschaft Gottes in Wort und Tat weitergegeben wird. Weil hier, im Hören, im Feiern von Abendmahl und Taufe Gott Glauben in den Menschen wirkt. Dafür ist das Predigtamt da, diese Botschaft weiter zu geben: Gott nimmt dich an, ohne deine Verdiente, sondern aus reiner Liebe und Barmherzigkeit.
500 Jahre später schaue ich in meinen Terminkalender und frage mich, wie diese doch eigentlich recht überschaubare Aufgabe, das Evangelium rein zu predigen und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium zu reichen, meinen Terminkalender so anfüllen kann. Da steht doch viel mehr drin: Geburtstagsbesuche, Bewerbungsgespräche, Dienstbesprechungen, Sitzungen Anlage aufbauen, Freizeitabrechnung und so weiter.
Nicht nur meine Aufgaben sind, auch das Gemeindeleben ist ja doch vielfältiger. Am Mittwoch haben sich einige Gruppen Superintendentin Schmid vorgestellt, als da waren: Hausaufgabenhilfe, Bibelgesprächkreis, Alpha+-Gesprächskreis, Das etwas andere Café, Sticken und Klönen, Handarbeitskreis, Flötengruppen für Kinder, für Erwachsene, Gitarrengruppe, ReparaturCafé und Gottesdienst für Ausgeschlafene – und es waren ja noch nicht einmal alle da.
Wozu ist die Kirche da? Das ist eine schwierige Frage, nicht weil mir dazu nichts einfällt, sondern weil mir dazu zu viel einfällt, eben als Pastor oder auch als aktives Kirchenglied. Weil der Geist Gottes wohl, wie die Confessio Augustana sagt, „wo und wann er will“ Glauben wirkt. Nicht nur sonntags morgens ab 10 oder 11 Uhr für eine Stunde.
Aber wo nehmen Otto Normalbürger und Manuela Mustermann Kirche vor allem wahr? Was vermuten Sie? Denn von der eigenen Wahrnehmung hängt ja vielleicht ab, worin man den Sinn der Kirche sieht.
Die meisten Menschen nehmen „Kirche“ als – Achtung - „Wort zum Sonntag“ im Fernsehen wahr. Tatsächlich! 6,26 Millionen Menschen schauen bisweilen das „Wort zum Sonntag“, das ist eine TV-Quote von sagenhaften 46 Prozent. Dagegen fallen die Gottesdienste doch etwas ab. In evangelische Gottesdienste gehen so 3 – 4 % der Kirchenglieder, also pro Sonntag ca. 100.000 bundesweit, in katholische 16 %, knapp 400.000.
Wo kommt man noch in Berührung mit der Kirche? Klar, bei Kasualien, also Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen, selbst wenn man gar nichts mit der Kirche am Hut hat, erlebt man sie doch, manchmal sogar überraschend bewegend. Dann an Heiligabend – hier in Reppenstedt sind es ca. 50 % unserer Gemeindeglieder, die kommen –, und, vielleicht nicht ganz so im Blick, als Arbeitgeber von 1,3 Mio. Arbeitnehmern. Und schließlich als Nutzer von kirchlichen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Altenheimen, Beratungsstellen und und und.
Wozu ist also Kirche da? Man könnte aus diesen Berührungspunkten antworten: Um Menschen die biblische Botschaft weiterzugeben, natürlich, aber auch um ihnen zu helfen oder sie zu begleiten, mit Lebenswendepunkten umzugehen. Oder wie oft junge Menschen sagen: Kirche ist für Alte, Kranke und Notleidende oder wenigstens Hilfsbedürftige zuständig. Und schließlich als Arbeitgeber....
Das Online-Portal der Wochenzeitschrift STERN hatte mal die Frage gestellt: „Wozu brauchen wir die Kirche?“ Darauf antwortete Sibbi78: "Wir" brauchen weder die Kirche noch andere klerikale Sekten. Diese Institutionen dienen nur noch dem Macht- und damit Selbsterhalt. Es ist unstrittig, dass einige Mitmenschen dennoch eine Einrichtung wie die Kirche benötigen, da sie unfähig sind, ohne Anleitung und "Händchen halten" durch die immer hektischer werdende Zeit zu kommen. Leider werden diese armen Menschen oftmals vom Klerus einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen und somit mißbraucht. Menschen mit einem gesunden Menschenverstand und ausreichendem Selbstvertrauen brauchen keine Ewiggestrigen, Sie benötigen auch keine an die 2000 Jahre alten, oftmals verfälschten Informationen, an die sie sich halten sollen. Im Übrigen: Ich glaube an Gott - frecherweise so ganz ohne "Kirche"
Und? Finden Sie sich in diesen Worten wieder?
Ich jedenfalls erlebe mich nicht als besonders machtbesessen, erlebe Sie nicht als „unfähig, ohne Anleitung und "Händchen halten"“ durch das Leben zu gehen. Es ist schon seltsam, was das Wort „Kirche“ und das, wozu sie da sei könnte, manchmal so antickt. Wer weiß, was Sibbi78 zu solch einer Abwertung der Kirche und zugleich, und das finde ich eigentlich noch ärgerlicher, zu einer Beleidigung ihrer Mitglieder bewogen hat. Wo hat sie wohl Kirche erlebt?
Das kann ich nicht wissen. Deshalb erlauben sie mir eine andere persönliche Antwort, meine persönliche Antwort. Wozu ist Kirche da?
Als ich das erste Mal in dieser Kirche war, fand einer dieser typischen Sommerferiengottesdienste statt. Ein Pastor übernimmt die Vertretung, wie so oft ein Pensionär, als Gottesdienstgemeinde ist nur der ganz harte Kern anwesend, und der Gottesdienst damals jedenfalls war doch eher auf ein älteres Publikum ausgerichtet. Ich muss gestehen, ich war vielleicht nicht ganz so aufmerksam, jedenfalls ging mein Blick durch die Kirche und blieb dort an der Skulptur über dem Altar hängen. Der auferstandene Christus breitet seine Arme aus, so als wenn er sagen wollte: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Meine Frau und ich waren in dem Gottesdienst, weil wir uns das Pfarrhaus anschauen wollten, um dann zu entscheiden, ob ich mich hier bewerbe. Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.
Wir sind nach dem Gottesdienst von drei Kirchenvorstehern ins Pfarrhaus geführt worden und das Gefühl, mit dem meine Frau und ich danach wieder weggefahren sind, war so, als hätten die drei Kirchenvorsteher durch das, was sie sagten und wie sie uns begegneten, ihre Arme weit ausgebreitet und gesagt: Ihr seid willkommen.
Der Theologe Hans-Joachim Eckstein hat einmal geschrieben: "Es gibt Menschen, die erscheinen uns wie Edelsteine. Sie reflektieren das empfangene Licht so farbenfroh und strahlend, dass wir uns nach der Lichtquelle umschauen."
Wenn ich jetzt in einem ruhigen Moment in der Kirche sitze, auf den Christus schaue, wie er die Arme ausbreitet, dann wünsche ich mir eine Kirche, die wie aus vielen Edelsteinen bestehend Licht reflektiert, Licht das von Gott kommt, das er selbst ist, und dann wünsche ich es mir nicht nur, dann weiß ich, dass ich das hier oft genug erleben kann.
Vielleicht würde Sibbi78 anders schreiben, wenn sie unvoreingenommen erleben würde, dass sicher auch die Mühseligen und Beladenen, aber auch die Fröhlichen und Standhaften, auch die Engagierten und Hilfsbereiten in der Kirche einen Ort haben, der Kirche bedeutsam und wichtig macht. Menschen, die so das Evangelium in Fleisch und Blut predigen, in der Hausaufgabenhilfe, dem Bibelgesprächkreis, Alpha+-Gesprächskreis, dem etwas anderen Café, bei Sticken und Klönen oder im Handarbeitskreis, in der Flötengruppen für Kinder, für Erwachsene, in der Gitarrengruppe, ReparaturCafé und Gottesdienst für Ausgeschlafene – und wo auch immer: Kirche, die auf ganz vielfältige Weise auf Gott weist, weil die Menschen so vielfältig sind und so vielfältiges schaffen und brauchen.
Kirche hat nie einen Selbstzweck, sie kann ein Edelstein sein, der aber nur leuchtet, wenn Licht durch ihn fällt, es sich durch ihn ausbreitet.
Sie, Frau Schmid, haben mich bei unserem Gespräch gefragt, warum ich denn diesen fast unablässigen Impuls habe, Neues anzustoßen, in den letzten sechs Jahren ist ja auch viel passiert. Manche Gemeinden würden ja Jahre lang so bleiben, wie sie auch schon vor sechs oder zwölf Jahren waren. Warum die, ja, dies Unruhe.
Vielleicht ist es der Versuch, diesen Edelstein Kirche immer weiter zu schleifen, zu polieren, dass er noch mehr oder auch für mehr andere seiner Lichtquelle Raum gibt. Vielleicht liegt es ja auch an ihm, der seine Arne so weit ausbreitet und sagt: Kommt alle her – auch eine wie Sibbi78. Wer weiß, vielleicht steht sie irgendwann auch mal von ihrem Computer auf, erlebt eine Taufe oder Trauung, vielleicht widerwillig, und vielleicht ist es dann doch sogar überraschend bewegend, weil Menschen durch das, was sie sagen, tun, leben gleichsam auch ihr die Arme ausbreiten. Dafür ist Kirche da.
Und wozu Kirche noch, davon singen wir jetzt.
Amen.

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