Predigt vom 09.01.22

 

 

 

Predigt „Ungebrochen und leuchtend“ (Jesaja 42, 1 – 9)

Liebe Gemeinde,

manchmal geht es mir so, dass mir der Gottesdienst gewissermaßen zu voll vorkommt. Ja, zu voll. Nicht, dass zu viele Menschen da sind, das ist leider nicht unbedingt das Problem evangelischer Gottesdienste. Es schwirren zu viele Gefühle und Gedanken im Raum.

Jeder und jede kommt mit solchen Gedanken und Gefühlen hierher, manche davon stehen jetzt in den Briefen. Wenn ich all Ihre Gedanke zeigen könnte, wie sie hier durch den Raum gleiten, was wäre da doch alles:

Vielleicht die Freude über ein Widersehen, einen Kontakt nach langer Zeit vielleicht? Oder: Wie Sie am Grab eines nahen, geliebten Menschen standen und der Tod eine Lücke gerissen hat? Die Einschränkungen, nicht das machen zu können, was Sie wollen? Oder zu viel freie Zeit, die so schlecht gefüllt werden kann? Vielleicht auch Glaube, Hoffnung, Liebe, Furcht und Zweifel, Glück?

Manchmal geht es mir so; und heute geht es mir so: der Gottesdienst ist so unfassbar voll – auch wenn ich das alles nicht sehen kann.

Der Musiker Frank Zappa sagte einmal: „Das Wichtigste an der Kunst ist der Rahmen.“ Ich bin mir nicht sicher, wie Frank Zappa das gemeint hat, aber das ist auch egal. Mir hilft dieser Satz, die Fülle all der Erlebnisse, all die Erlebnisse in meinem Leben in den Blick zu nehmen. Denn das tut ja ein Rahmen. Er lenkt meinen Blick. Schau hierhin. Das ist dein Leben.

Ein Rahmen hilft gegen das Verfransen der Gedanken, gegen das Uferlose, das sich verliert. Manchmal kommt mir der Rahmen zu eng vor, da darf es dann auch größer, weiter sein. Aber wer sagt denn, dass Rahmen für alle Zeit feststehen! Mir hilft ein Rahmen zur Orientierung.

Vielleicht ist der Gottesdienst so ein Rahmen, in den ich meine vielen, manchmal allzu vielen, manchmal auch widersprüchlichen Gedanken legen kann. Und die dort gut aufgehoben sind.

Vielleicht ist jeder Bibelvers solch ein Rahmen, der mein Leben umfangen, manchmal, wenn es zu verfransen droht, wieder einfangen will. Wie diese Verheißung Gottes aus dem Buch Jesaja, die Christen und Christinnen auf Jesus Christus beziehen:

Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.  Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. …Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen….Ich mache dich … zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.

Was bedeutet das etwa für die Trauernden; für die, denen ein lieber Mensch nun an der Seite fehlt; für die, denen gerade in der zurückliegenden weihnachtlichen Zeit umso bewusster wurde, wer eben nicht mehr an ihrer Seite lebt und sitzt? Vielleicht dies: „Erhebe deinen gesenkten Blick, schau auf und schaut über das unmittelbar vor Augen Liegende hinaus.“

Das Wichtigste für mich in so einem neuen Jahr ist eine Perspektive zu haben. Das wird so viel Leben sein!

Damit ich das kann, hinausblicken kann, muss es etwas geben, auf das ich blicken kann, etwas, das mein Leben hier und jetzt ausrichten kann, damit da nicht nur Trauer und Finsternis sind.

Wenn ich mir Gott vorstelle, dann als jemanden, der um mein Leben einen Hoffnungsrahmen legt. Der sagt: „Schau her, da: Da warst du niedergeschlagen, dein Leben war wie eine glimmende Kerze, die kaum mehr strahlen konnte. Aber ich bin hier, um dich wieder strahlen zu lassen. Es soll nicht dauerhaft finster sein. Leg deine Last bei mir ab, tritt aus der Finsternis ins Licht: Weißt du doch: ‚Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern er wird das Licht des Lebens haben.‘“

Ich weiß sehr wohl, dass man das nicht einfach „machen“ kann, diesen Blick in die Höhe und in die Ewigkeit Gottes; ich weiß, dass man, dass ich das nicht einfach leichtfertig sagen kann und darf. Wenn da Trauer ist, ist sie da. Sie hat ihre Zeit.

Aber es ist dieser Blick des Propheten Jesaja, diese Vision auf ein anderes Erleben als das Stehen am Grab, diese für Christen und Christinnen in Jesus Christus erfüllte Verheißung, die mich selbst an den Gräbern der Menschen, auch der eigenen Verstorbenen, den Satz des Apostels Paulus aus dem Römerbrief aussprechen lässt: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Wenn man in die Kirche geht, muss es gar nicht immer um dieses große Thema „Tod“ gehen. Ich weiß, es geht oft um Tod und Leid. Vielleicht zu oft. Aber wenn ich den Rahmen kenne, die Orientierung, kann ich das ja auch auf alles übertragen.

Sie haben Ihre Themen aufgeschrieben. Was macht das mit Ihnen in diesem Rahmen. Gerade auch mit der einen Sache, die Sie nicht in der Hand haben. Vielleicht ist es Ihnen ja auch so gegangen, dass das Schreiben wie ein, ja: wie ein Gebet war. Gerade auch bei der einen Sache, die Sie nicht in der Hand haben. Ein Gebet heißt für ich: ich stelle mich in den Hoffnungsrahmen Gottes. Ich lege mein Leben in seine Hand. Was ich anpacken kann, tue ich in seinem Licht: voller Glaube, Hoffnung und vor allem Liebe. Was ich annehmen muss, empfange ich von ihm. Dankbar und geduldig.

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen… Er ist das Licht, dass … die Augen der Blinden öffnet und die Gefangenen aus dem Gefängnis führt und, die da sitzen in der Finsternis.

So kann für mich 2022 kommen.

Amen.