Predigt zu Johannes 12,20 – 24 – Pastor Henning Hinrichs

Liebe Gemeinde,
in der letzten Konfirmandenstunde waren einige Konfirmanden auf dem Reppenstedter Friedhof. Sie sollten schauen, welche Symbole auf den Grabsteinen für die christliche Vorstellung der Auferstehung gewählt worden waren. Da waren Kreuze, natürlich, aber auch Bäume, Regenbögen und da war auf einem Grabstein eine Weizenähre.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Wir haben das ja eben gesungen und in der Lesung gehört. Mit diesem Bild vom Tod des einzelnen Weizenkorns versucht Jesus schon jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem die Jünger noch ganz baff sind von Jesu Wundern und Worten, von seinem glamourösen Einzug in Jerusalem unter dem Jubel der Menge, er versucht eine Deutung seines, das wissen die Jünger noch nicht, seines baldigen Todes zu geben. Warum er sterben muss.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Macht der Tod denn Sinn? Für den Einzelnen vielleicht, wenn man zufrieden und nun lebenssatt stirbt, dann vielleicht schon. So sieht ja das Idealbild vom eigenen Tod aus. Man wird alt, hat viel Gutes erlebt und ist bis zuletzt noch aktiv, und dann ist ohne viel Leiden und still Schluss. Und sobald etwas von diesem Idealbild abweicht, wird es schon schwierig mit dem Sinn oder dem rechten Zeitpunkt.
Jesus ist zu diesem Zeitpunkt so um die 34 Jahre alt. Macht sein Tod Sinn? Bezogen auf sein persönliches Glück, das, was man im allgemeinen für einen 34jährigen Mann erwartet, macht dieser Tod keinen Sinn. Frau, Kinder, Beruf, Eigenheim, Freizeit, Wirken, Glück. All das wird es nicht geben. Persönlich macht sein Tod keinen Sinn.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Es gibt anscheinend eine Dimension im Leben, die weiter geht als das einzelne, persönliche Glück. Eine Dimension, die heute vielleicht zunehmend aus dem Blick gerät, wenn man vor allem und als erstes danach fragt, was etwas einem selbst einbringt. Wenn es nur um das persönliche Glück geht.
Und doch gibt es sie heute noch, diese weitere Dimension. Etwa in dem vielfältigen ehrenamtlichen Engagement, bei dem sicher auch vieles gemacht wird, weil es Spaß macht, einem selbst etwas bringt, aber eben auch, weil es neben meinem Gewinn auch so sinnvoll ist. Weil es eben auch manchmal Sinn macht, Dinge zu tun, die einfach gemacht werden müssen, auch wenn sie unangenehm sind.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Jesu Hadern im Garten Gethsemane kurz vor seiner Verhaftung zeigt, dass es auch für ihn alles andere als leicht war, diesen Weg in den Tod zu gehen. „Wenn es auch so geht, Gott, dann lass diesen Kelch an mir vorüber gehen.“ Wenn es Sinn macht, dann muss doch niemand sterben.
Der Skandal ist, dass der Tod Jesu sinnvoll, notwendig sein soll. Mit seinem Tod muss etwas zur Geltung kommen, das ansonsten nicht da wäre, nicht deutlich oder wirksam wäre. Dieser Tod soll Sinn machen, der Tod eines 34jährigen Mannes, geliebt und verehrt von so vielen. Geht das?
Wenn ich an einen Tod denke, der als irgendwie sinnvoll dargestellt wird, einen, der eine größere Dimension als das persönliche Glück hat, dann denke ich komischerweise als erstes an Hollywoodfilme. Da finden die großen Dramen um Leben und Tod, Liebe und Hass statt, nicht in meinem Leben, zum Glück. Da gibt es immer einen, meist eine Nebenfigur, die den Feind aufhalten will und im feindlichen Kugelhagel stirbt, für einen kurzen Moment nur, der aber nötig ist, damit die Hauptpersonen oder eine ganze Gruppe in Sicherheit gelangen können.
Manchmal sind es auch eine der Hauptperson selbst, die ihr Leben für die anderen dahin gibt, und dann sitze ich da in meinem Kinosessel oder zuhause auf dem sicheren Sofa, und verdrücke eine Träne der Rührung. Es wär wohl anders nicht gegangen.
Gibt es das auch im wirklichen Leben? Jedenfalls werden sie Helden genannt, Helden, weil sie ihr eigenes Leben unter das der anderen stellen, weil sie sich für andere aufopfern. Sinnbildlich der Kapitän, der als letztes das sinkende Schiff verlässt oder bleibt, Frauen und Kindern den Vortritt lässt, und während alle anderen in den Rettungsboten sitzen, steht er stolz und gerade da und geht mit seinem Schiff unter. Mein Käpt´n, mein Käpt´n. Das persönliche Scheitern ermöglicht das Leben der andern. Und so ist es auch kein Scheitern mehr, es ist ein Opfer, eine Gabe, kein Scheitern.
Die Deutungen seines Todes:
Jesus musste sterben, weil es die Menschen so brauchen, sie brauchen Opfer, Sündenböcke, sie brauchen es wohl, es ist so dumm manchmal, aber Menschen wollen oft genug ihr Wesen, ihr Unvermögen, ihre Schuld abwälzen auf einen anderen. In Jesus begegnet die Provokation Gottes: du brauchst Gott, du kannst dich nicht selbst erlösen, frei machen. Schau, wenn du es versuchst, suchst du oft genug eine Hintertür: Kreuzigt den da, der ist schuld.
Er musste sterben, weil trotz der Ablehnung der Massen, die Jesu Tod fordert, trotz der Verurteilung und Hinrichtung, trotz der Verblendung, die Gott nicht in diesem Menschen  Jesus von Nazareth sprechen hören kann, das trotz aller menschlichen Gottes-Ferne die Nähe Gottes, seine Liebe gilt.
Jesus musste sterben, denn nur so können die Menschen erkennen, wie viel Gott bereit ist, für sie zu tun: er ist bereit, das Leben, das zwangsläufig auf den Tod zusteuert, und das eben gerade nicht immer erst im hohen Alter und dann plötzlich ohne Schmerzen nach lebenssatten Jahren, sondern viel zu oft eben auch viel zu früh, unter Gewalt manchmal und schmerzhaftem Leiden endet, er ist bereit, uns durch den Tod hindurch zu neuem Leben zu führen wie bei ihm, Jesus Christus.
Können wir nur so verstehen? So kennen sie es, so lieben sie es an den Bildschirmen oder Theatern, so als Vater, als Mutter, der oder die die Kinder retten würde, wenn es denn notwendig wäre, so verstehen sie doch die andere Dimension. Kinder zuerst, und wenn ich auch viel geben muss.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Und ich? Vielleicht ein Held, wenn es um meine Frau, meine Kinder geht? Ohne darüber nachzudenken in die Flugbahn springend, vielleicht. Zum Glück ist mein Leben nicht so dramatisch. Ein Held bin ich eigentlich  nicht. Will Jesus mir denn noch mehr sagen als die Deutung seines Todes? Soll ich auch etwas tun? Und wenn ja, was denn?
Wem sein eigenes Leben über alles geht, der verliert es. Wer aber in dieser Welt sein Leben loslässt, der wird es für das ewige Leben in Sicherheit bringen. Wenn jemand mir dienen will, muss er mir nachfolgen. Und da, wo ich bin, wird auch mein Diener sein. Wer mir dient, den wird der Vater ehren.
Mit der Taufe von Ella beginnt etwas, das auf ihrem ganzen Lieben liegen wird. Die Verheißung Gottes, sie durch das Leben zu begleiten, manchmal auch zu führen, auch zu tragen, wo es notwendig ist. Seine Kraft soll ihre Kraft sein. Und eben auch die Aufforderung neben dem persönlichen Glück diese anderen Dimension zu leben, die jedes Leben auch hat. Nicht nur an sich selbst zu denken, sondern immer die beiden anderen Dimensionen auch noch leben: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Und du sollst deinen Nächsten lieben und dich genauso auch selbst lieben.
Das heißt Jesus Christus nachfolgen. An ihn in meinem Leben glauben und in drei Dimensionen zu leben und zu lieben: Gott – Mitmensch – Ich. Dafür muss ich kein Held sein. Es geht nicht darum, sein Leben zu opfern, wegzuwerfen, sondern es hinzugeben. Wem sein eigenes Leben über alles geht, der verliert es. Wer aber in dieser Welt sein Leben loslässt, der wird es für das ewige Leben in Sicherheit bringen.
In die Hände Gottes zu werfen und zu schauen, wie dann ein Leben sinnvoll ist für Gott, für andere, für mich. Und das wird in den seltensten Fälle der heldenhafte Sprung in die Flugbahn sein. Aber es wird täglich mein Leben sein, an dem sich zeigt, ob ich nur mich im Blick habe oder mehr sehen kann, mit mehr rechnen kann als mit dem, was meine Augen sehen.
Wer mehr sehen kann, der sieht Gott in seinem Leben, der sieht das Wunder und der handelt auch danach, oder wie Jesus sagt: der dient ihm. Und er sieht jetzt schon, wie mehr um ihn ist als das persönliche, einzelne Glück. Da ist mehr um mich, Wunder geschehen, ich hab ´s gesehen.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.
Und der Friede Gottes....