Predigt zu Matthäus 14,22–33 (29.01.2017) – Pastor Henning Hinrichs
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde, da liegt es vor mir wie die Eiger-Nordwand, senkrecht und bedrohlich aufgerichtet und eigentlich, so erscheint es, kaum zu bewältigen. Wenn ich nur daran denke, möchte ich mich am liebsten unter meiner Bettdecke vergraben, gar nicht erst aufstehen, lieber vergessen, einfach nur warten, bis es vorüber ist, so wie Kinder die Augen ganz fest zudrücken und meinen, wenn ich es nicht sehe, dann sieht es mich auch nicht, dann ist das Problem irgendwie auch weg, irgendwann. Bloß nicht die Augen öffnen, dann wird es schon irgendwie von selbst verschwinden.
So gehen manche Menschen mit dem Schmerz im Magen, in der Brust, in Gelenken um, mit seelischen Belastungen, mit Anfeindungen, Auseinandersetzungen. Der leise Verdacht regt sich, es könnte … aber nein, das wird es schon nicht sein, geht schon wieder weg. Bloß einfach sitzen bleiben.
Und so ungünstig das ist, manchmal wird selbst der Ansatz zur Lösung als Teil der Gefahr, des Problems gesehen. Da wird die Tochter, die voller Fürsorge den Vater dazu bringen will, doch zum Arzt zu gehen, lautstark angefahren, beschimpft sogar. Da wird der Freund, der die Ursachen eines Konfliktes benennt und nicht nur seinem Freund nach dem Mund redet, einfach ignoriert, die Freundschaft aufgekündigt. Da werden offensichtliche Fakten als Lüge oder Beeinflussung abgewertet, Absurdes als Tatsachen behauptet.
Wir sitzen manchmal wie in einen Boot fest, das wir für so sicher halten, mag es auch draußen in der Welt stürmen, wir sitzen in diesem Boot, und was da auf uns zukommt, das passt uns manchmal nicht, wir meinen vielmehr, es sei sogar eine Gefahr. Und so sitzen wir in unserem kleinen Boot, und merken gar nicht, dass Boote auch kentern und untergehen können, und wir mit ihnen, wenn wir nicht rechtzeitig aussteigen.
Nun drängte Jesus die Jünger, unverzüglich ins Boot zu steigen und ihm ans andere Ufer vorauszufahren; er wollte inzwischen die 5000 Leute, die er satt gemacht hatte, entlassen, damit sie nach Hause gehen konnten. Als das geschehen war, stieg er auf einen Berg, um ungestört beten zu können. Spät am Abend war er immer noch dort, ganz allein. Das Boot befand sich schon weit draußen auf dem See und hatte schwer mit den Wellen zu kämpfen, weil ein starker Gegenwind aufgekommen war.
Gegen Ende der Nacht kam Jesus zu den Jüngern; er ging auf dem See. Als sie ihn auf dem Wasser gehen sahen, wurden sie von Furcht gepackt. »Es ist ein Gespenst!«, riefen sie und schrien vor Angst.
Diese Geschichte vom auf dem See wandelnden Jesus ist berühmt. Vielleicht, weil man das einfach faszinierend findet, dass ein Mensch auf Wasser gehen kann. Und so ein Wunder schafft Aufmerksamkeit, keine Frage. Es gibt etliche Kinofilme, in denen Menschen auf Wasser gehen, manchmal wirklich als Zeichen einer wunderbaren Situation, manchmal einfach nur als Fake, als Täuschung, aber immer als Anspielung auf diese eine Geschichte, Jesus wandelt auf dem See. Berühmt, kennt man.
Aber diese Geschichte ist eben auch berühmt-berüchtigt, und das liegt an der Reaktion der Jünger. Als sie ihn auf dem Wasser gehen sahen, wurden sie von Furcht gepackt. »Es ist ein Gespenst!«, riefen sie und schrien vor Angst.
Sie ist berüchtigt wegen dieser unangemessen Reaktion der Angst. Wer mit Jesu zu tun hat, braucht keine Angst zu haben. Wer Jesus nachfolgt, ihm vertraut, sein Leben anvertraut, der wird bewahrt, der lebt im Kraftfeld einer Macht, die das alles tragen und oft genug auch überwinden lässt. Also: keine Angst, ihr Christen.
Aber das muss man auch erst einmal erkennen, das glauben und nicht den anderen Einflüsterungen oder nur den eigenen Fähigkeiten. Die Jünger können nur das sehen, was sie erwarten in diesem Sturm, Schlimmes, Gefährliches und sich mitten drin. Es kann eigentlich nur noch schlimmer werden in diesem Sturm, was da auf sie zu kommt, das kann ja nur, was kann schon schweben, ohne Körper, ohne Schwere, es ist … was denn sonst!? … es ist ein Gespenst!
Also krallen sie sich an die Planken ihrer Nussschale auf dem schwankenden Wellen, klammern sich an das, was ihnen geblieben ist, was sie um sich haben, die Freunde, die Ruder, die eigene Haut.
In den Jüngern erkenne ich mich, der oft genug nicht wirklich Gott vertraut, sondern vor allem sich selbst, den eigenen begrenzten zwar, aber immerhin bekannten Fähigkeiten. Und ich erkenne den, den das nicht retten wird, weil die Wellen einmal viel größer sein werden als all das, was einer oder eine bewältigen kann.
Sie trauen es Jesus nicht zu, dass er bei ihnen sein könnte, da draußen auf der stürmische See, sie denken, er sei weit weg, da irgendwo auf dem Berg, und sie allein. Und dann nehmen sie das, was sie kennen, von dem ihnen ihre Eltern schon erzählt haben: was da auf sie zu kommt, das kann ja nur, es ist … was denn sonst!? … es ist ein Gespenst!
Aber Jesus ist da, er hat sie nicht allen gelassen in der Gefahr. Auch er hat anscheinend die Leichtigkeit des Seins, die ihn über all das Bodenlose und Dunkle geradezu schweben lässt. In ihm begegnet doch Gott, bei dem das Schwere und Verletzte geheilt und leicht wird. Wo Angst keinen Raum hat, wo Hoffnung blüht. Jesus geht nicht unter.
Und könnte man Menschen an ihren Sätze identifizieren, dann wäre das so ein Satz für Jesus, für diesen Menschen und irgendwie auch Gottes Sohn, bei dem das Leben nicht untergeht, sondern sicher wird. Daran könnten sie ihn erkennen. Aber Jesus sprach sie sofort an. »Fürchtet euch nicht!«, rief er. »Ich bin’s. Ihr braucht euch nicht zu fürchten.« Da sagte Petrus: »Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!« – »Komm!«, sagte Jesus. Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser auf Jesus zu.
Es bleibt berühmt-berüchtigt: »Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!« War die Sicht in diesem Sturm so schlecht, oder Jesus so schlecht zu verstehen. Man könnte ja meinen, auf die Worte hin: Fürchtet euch nicht! Ich bin’s. Ihr braucht euch nicht zu fürchten – wäre alles gut und geregelt. Aber Petrus ist noch nicht ganz überzeugt. Er weiß, dass Gespendeter keinen Körper haben und deshalb schweben können. Und er weiß, oft genug hat er Jesus ja berührt, dass Jesus einen Körper hat, und damit doch wohl Schwere, aber eben auch – als Gottes Sohn – dessen Macht. Ist es nun Jesus, Gottes Macht, oder ein Gespenst? Wenn du es bist – beweise es durch ein Wunder!Dann will ich Teil dieses Wunders sein. Dann will ich glauben! Zeig es mir!
»Komm!«, sagte Jesus. Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser auf Jesus zu. Doch als er merkte, wie heftig der Sturm war, fürchtete er sich. Er begann zu sinken. »Herr«, schrie er, »rette mich!« Sofort streckte Jesus seine Hand aus und hielt ihn fest. »Du Kleingläubiger«, sagte er, »warum hast du gezweifelt?« Dann stiegen beide ins Boot, und der Sturm legte sich. Und alle, die im Boot waren, warfen sich vor Jesus nieder und sagten: »Du bist wirklich Gottes Sohn.«
So wirkt Vertrauen. Und so wirkt Angst. In Petrus wechseln sie sich ab. Die Angst wächst dann, wenn ich nur auf das schaue, was mir vor den Füßen liegt. Als Petrus den Blick von Jesus abwendet, merkt er erst, dass er ja immer noch im Sturm ist, und dass er jetzt sogar auf dem Wasser steht, unmöglich, auf dem haltlosen, dem abgrundtiefen dunklen See, der ihn jederzeit verschlingen kann. Der See ist um ihn, er ist überall, kein Ufer zu sehen. Und das macht ihm eine Heidenangst, im wahrsten Sinne des Wortes eine Heidenangst, weil ihm der Glaube abhanden kommt, über den Problemen seines Lebens hinweggleiten zu können. Und da versinkt er wirklich. Wenn die Angst gewinnt, wenn du nicht mehr glauben kannst, bewahrt zu werden, Kraft zu bekommen, dann versinkst du.
Es geht um Angst oder Glaube. Um den Glauben, der seinen Blick ausrichtet und das Gehen selbst über Abgründe möglich macht. Der Glaube schaut auf den, der ihm da entgegen gekommen ist, der ihm zugesprochen hat, dass er keine Angst haben braucht. Und im Blick auf Jesus hat Petrus auch keine Angst. Vielleicht ist das tosende Wasser noch da, aber es ist nicht mehr alles in seinem Leben. Und wenn das Schlimme nur noch ein Teil von meinem Leben ist, das Wichtigste aber diese Ausrichtung meines Leben auf Jesus ist, dann lässt es sich überschreiten, das Schlimme.
Wo blicke ich hin? Was bestimmt mich? Glaube ist die Breitschaft zu diesem Blick auf die Kraft, die nicht weit weg von mir ist, sondern da ist, ganz nah und in meinen Lebensstürmen erscheint, kein Hirngespinst, sondern wirklich da. Erlebbar in Jesus Christus, erlebbar in meinem Glauben.
Also was tun, wenn der Schmerz im Magen nicht aufhören will, wenn mich die Wut über eine Auseinandersetzung auffrisst oder mir das, was ich höre, nicht in den Kram passt?
Es gibt drei Möglichkeiten: Die eine davon ist die Angst: Das will ich nicht, aber manchmal überkommt es mich ja, weil ich denke, dass der Berg zu hoch, der Abgrund zu tief ist, dass sich das kaum durchstehen lässt. Verständlich, bringt aber nichts.
Die zweite ist das Verharren im Boot. Sitzen bleiben, Augen zu, und hoffentlich durch. Das klappt manchmal, für eine Zeit. Aber viele Stürme kommen wieder, anders, bauen sich größer auf. Im Boot liegen Angst und Glaube eng zusammen, nichts ist entschieden. Wer im Boot sitzen bleibt, muss immer wider eu ausloten, was denn nun stärker ist, meine Angst oder meine Hoffnung, meine Zweifel oder mein Glaube. Wer gewinnt diesmal, wann kentert das Boot?
Die dritte Möglichkeit ist das Wagnis, aus dem Boot herauszutreten und über den Sturm zu gehen. Klingt eigentlich wahnsinnig, aber nur das nimmt mir die Angst und schenkt mir ein freies Leben. Und es ist möglich, wenn mein Blick in die richtige Richtung geht. Es ist möglich.
Herauszutreten aus meiner Angst vor unbequemen Wahrheiten, von denen ich meine, sie werden mich verletzten, vielleicht Schuld aufdecken. Herauszutreten aus der Angst, etwa nicht bewältigen zu können. Es ist möglich.
»Komm!«, sagt Jesus.
Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.