Gottesdienst Predigt 05.08.2018

Predigt zu Galater 3, 26 – 29 – Pastor Henning Hinrichs

Liebe Gemeinde,

vielleicht haben da ein paar von uns das damals mitbekommen. Vier große Unternehmen haben 2006 gemeinsam mit der Bundesregierung eine „Charta der Vielfalt“ ins Leben gerufen. Die Unterzeichner, inzwischen sind des 2950 Unternehmen, für die eigene Region kann man das auch im Internet überprüfen, verpflichten sich, die Vielfalt ihrer Belegschaft, Kundschaft und Geschäftspartner wertzuschätzen und zu fördern – unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung, Religion, Nationalität, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung. Die Akzeptanz von Vielfalt ist nämlich nicht nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern bringt auch wirtschaftlichen Nutzen. Wer weltweit agiert, braucht eine bunte Mitarbeiterschaft, um die Aufgaben im interkulturellen Kontext zu bewältigen. Der Grundgedanke ist: Die Gemeinsamkeit vieler Unterschiedlicher ist stark und kreativ. Sie kann mehr als die Gemeinschaft der Deckungsgleichen.

Das trifft auch zu für die Kirche. Wir alle sehen, hören und erfahren es jeden Tag, dass der hilfreiche Umgang mit Verschiedenheit eine Aufgabe darstellt, die uns unabweisbar aufgegeben ist. Jeder Gang auf die Straße, jeder Blick in den Fernseher oder ins Internet, jede Zusammensetzung einer Schulklasse, spätestens eine Fahrt mit der Hamburger U- und S-Bahn zeigt die Vielfalt der Gesichter und Sprachen, der Kleidung und Gerüche. Kann man so viel Unterschiedlichkeit nicht nur aushalten, sondern sogar schön finden? Selbstverständlich ist das ja nicht.

Im Gegenteil: Der Alltag zeigt, dass auch das Bedürfnis nach Abgrenzung steigt. Auf die beunruhigende Vielfalt reagieren viele mit Abschottung. Es gibt ja nicht nur die kompetenten Facharbeiter und Spezialisten, die in der Wirtschaft gebraucht werden und die willkommen sind. Es gibt nicht nur Menschen, die verständnisvoll auf Menschen anderer Kulturen reagieren, wo man aufeinander eingehen und in fremden Sprachen miteinander sprechen kann. Es gibt die vielen, die dies alles nicht können, nicht wollen und für die Vielfalt bedrohlich ist.

Der Apostel Paulus hat sich beständig mit der Unterschiedlichkeit der Menschen und Kulturen in den frühen christlichen Gemeinden auseinandergesetzt. Was blieb ihm anderes übrig? Sein Bekenntnis zu Christus, in der jüdischen Glaubenswelt entstanden, hat er in fremde Welten übersetzt. Die wohl eher kleinen Stützpunkte des neuen Glaubens in Kleinasien und Griechenland, die durch seine Initiative entstanden, waren sozial spannungsvolle Gruppen, laufend durch konkurrierende Lehrer verunsichert.

Man kann die Briefe des Apostels lesen als Versuch, diese vielen Unterschiede unter einen Hut zu bekommen. Sie spiegeln die Auseinandersetzungen und die sozialen Unterschiede in den Gemeinden. Immer wieder kreisen sie um die Frage, ob man tatsächlich auf das gemeinsame äußere Merkmal der Beschneidung verzichten könne, wenn jüdische und nichtjüdische Gemeindeglieder sich als Teil einer Glaubensgemeinschaft verstehen wollen. Was hält diese junge Christusbewegung zusammen? Wie viel Differenz kann sie sich leisten?

Und er schreibt: Denn ihr seid alle Töchter und Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus. Ihr alle nämlich, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr seid alle eins in Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus gehört, dann seid ihr Nachkommen Abrahams und gemäß der Verheißung seine Erben.

Paulus argumentiert insgesamt gastlich und freundlich. Wer fremd hinzukommt zur Gemeinde, muss die Chance haben, zu verstehen, was dort geschieht. Beim Abendmahl sollen Reiche sich so verhalten, dass ihr Reichtum den Armen keinen zu starken Anstoß gibt und die Gemeinschaft nicht sprengt. Weil Frauen in den Gemeinden große Bedeutung haben, das gesellschaftliche Umfeld eine solche aber nicht vorsieht, reagiert der Apostel mit widersprüchlichen Stellungnahmen, weicht offenbar einer glatten Lösung aus. Hier sind Frauen und Männer gleichgestellt, an anderer Stelle fordert er sie auf, sich ruhig und zurückhaltend zu verhalten.

In allen seinen Aussagen aber liegt die Gewissheit, dass in Christus eine Gemeinsamkeit gegeben ist, die alle Verschiedenheit unterläuft und überholt. Ihr alle, schreibt Paulus, so verschieden ihr auch seid, ihr alle seid eins in Christus. Die Alltagsrealität ist damals und heute anders: Menschen aus unterschiedlichen Kulturen verstehen sich schwer. Es gibt die Freien, die Reichen auf der einen Seite, auf der anderen die Ohnmächtigen, mit ihrem Leben den Herrschenden ausgeliefert. Da sind die Bindungen an Eigenschaften und Rollen durch das Geschlecht. Aber vor Gott, sagt Paulus, und in der Gemeinde ist dies alles nicht entscheidend.

Denn in der Taufe habt ihr Christus angezogen, wie ein neues Kleid, das euch alle gleichermaßen verwandelt in Töchter und Söhne Gottes. Als Kinder Gottes aber, als Geschwister Christi seid ihr frei, über alle Trennungen und Unterschiede hinaus.

Was für ein offener und weiter Blick! Zu gern würde ich wissen, was er verändert hat für die Menschen in den Gemeinden. Auch wenn die neue Wirklichkeit vor allem im Gottesdienst präsent war: es ist ja kaum vorstellbar, dass sie nicht auf den Alltag übergriff. Hat die Sklavin sich etwa nicht schon damals aufgerichtet, auch wenn ihr noch bis ins 19. Jahrhundert die Macht und die Unterstützung zur Veränderung ihrer Lage gefehlt haben? Hat es mehr Offenheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit, mehr Liebe gegeben im Verhältnis der Geschlechter, zwischen Habenichtsen und Reichen, zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen? Wie gelingt das?

Ein Beispiel: In Norddeutschland wurde wurde der Zusammenschluss dreier Kirchen versucht: Nordelbien mit Hamburg und Schleswig-Holstein, Mecklenburgische und Pommersche Landeskirchen zur einheitlichen Nordkirche. Das Gebiet der entstandenen Nordkirche liegt über der ehemaligen Grenze zwischen Ost und West hinaus. Politisch und kirchlich fremde Kulturen begegneten sich. Aber man hatte eine Idee. Parallel zu diesem spannungsvollen Prozess sind Erzählwerkstätten eingerichtet worden. Menschen aus Ost und West trafen sich, um sich gegenseitig von ihrem Leben und ihrem Glauben zu erzählen. Man war sich ja viel fremder, als 1989 zunächst erwartet.

Das Erzählen ist ein typisch kirchlicher, ein christlicher Weg der Annäherung. Er speist sich aus der Erwartung, dass die Kinder Gottes über Verletzungen der Vergangenheit hinauskommen, dass ihnen in Christus Freiheit und Gemeinsamkeit geschenkt sind, wirksamer als die Sprengkraft der unterschiedlichen, in vieler Hinsicht ungerechten, Geschichte. Wenn wir nach Tansania fahren, werden wir vor allem erzählen und hören, wir werden Gottesdienst feiern und uns gemeinsam der gemeinsamen Geschichte Gottes mit allen Menschen vergewissern.

Aufs Ganze gesehen geht es bestimmt nicht darum, immer ganz viel Nähe und Gemeinsamkeit herzustellen. Das würde uns vermutlich überfordern. Leben mit Differenzen bedeutet, unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz selbstverständlich zu akzeptieren. Aber der Glaube daran, dass im andern/in der anderen Christus lebendig ist so wie in mir, macht uns frei, einander mindestens das an Achtung und Unterstützung zu geben, was zum Leben nötig ist.

Und im Besuchen dann davon ausgehend auch mal mehr. Ja, so ist es und so soll es sein, auch unter uns, in dieser Gemeinde. Wir sind unterschiedlich. Wir sind uns oft nicht einig. Wir haben es auch schwer miteinander.

Ich würde sagen: Gott sei Dank! Fragen, Widerspruch, Zweifel, unterschiedliche Meinungen und Lebensweisen sind willkommen. Sie machen unser Miteinander lebendig, reizvoll und reich. Aber wir sind auch und zugleich verbunden in dem einen Leib Christi. Gott sei Dank! Niemand ist zu fremd, um diesem Leib anzugehören. Darauf lasst und bauen und dazu lasst uns beitragen.

Amen.

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