1. Weihnachtstag (25.12.21)

 

 

 

Predigt zu 1. Johannes 3,1–6

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

ein komisches Weihnachten, oder? Der Lüneburger Weihnachtsmarkt fand nur ein paar Tage statt, dann wurde er wieder abgebaut. Manche Verwandte kann man aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht besuchen, viele bleiben lieber zuhause. Und die Gottesdienste an Heiligabend: für die meisten fanden sie entweder gar nicht oder nur aus der Konserve statt.

Es ist Morgen geworden. Wir kommen aus der Nacht der Nächte. Mit den Hirten sind wir in eine Geschichte verwickelt worden, die wir vom Evangelisten Lukas erzählt bekommen, Jahr für Jahr, und doch in diesem Jahr irgendwie anders, irgendwie unerfüllt im Blick auf die eigenen Wünsche, endlich fertig zu sein mit der Pandemie.

Aber Weihnachten hat ja auch seine dunklen Seiten: unerfüllte Wünsche, misslungene Friedensversuche, Leerstellen, weil jemand fehlt. Die Geschichte, die wir hören, die wir Jahr für Jahr erinnern, ist eine Geburtsgeschichte, in der Leben und  Gefährdung eng beieinander liegen. In dieser Geburt eines Handwerkersohns damals im letzten Winkel des römischen Imperiums.

Zu ihr gehört auch der Kindermord, den Mächtige angeordnet haben. Das Neugeborene in der Krippe ist eines, das der Gewalt entronnen ist. Dass es lebt, ist im Grunde überraschend. Eine Flucht gehört dazu, um das Kind zu retten.

Die biblische Erzählung ist zart und sie ist bitter. Und vielleicht ist es ja dies – das Zärtliche und Bittere zugleich –, was so empfänglich macht für diese eine Geburt, für diese besondere Geburt.

Dass die Angst mitschwingt. Wie bei mir zurzeit. Dass dieses Neugeborene spüren lässt, wie gefährdet das Leben auch ist, wie gefährdet mein Leben ist: Nichts ist selbstverständlich auf dieser Welt. Es ist ein unverdienstes Glück, einen Platz in der Welt zu haben, oder ein Auskommen, oder Menschen, die sich um einen sorgen, oder Menschen, für die ich sorgen kann. Auf das Kind in der Krippe schauen heißt zu sehen, wie zerbrechlich Leben ist und wie es doch bewahrt wird.

Die Geburtsgeschichte, die wir feiern, bewahrt das Geheimnis des Lebens in sich: Dass wir leben aus einer Kraft, die nicht aus uns selbst kommt, und die doch in uns, in jedem Menschenkind heranwächst. Das ist die Geburtsgeschichte der Heiligen Nacht.

Aber jetzt ist es Weihnachtsmorgen geworden. Der Tag danach. Der Predigttext, der zu unserem Gottesdienst gehört, antwortet auf diese Geschichte. Er sagt, was es nach dieser Nacht an diesem Morgen mit uns auf sich hat.

Im 1. Johannes-Brief heißt es im 3. Kapitel:

»Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht, denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist.«

Manche Menschen erleben am Tag danach, gerade wie nach einem gewaltigen Rausch, wo man manchmal nicht mehr so recht weiß, was in der Nacht davor Wunsch oder Wirklichkeit war, in sich den Zweifel.

Was ist da eigentlich passiert? Ist Gott denn wirklich in die Welt gekommen? Für die Ärmsten der Armen, wie die Hirten auf dem Feld und überall auf der Welt. Für die Flüchtenden, denen die Gewalt auf den Fersen ist. Für mich mit all meinen Sorgen und Wünschen? Was ist denn passiert?

»Ihr Lieben, wir sollen Gottes Kinder heißen – und wir sind es auch!« Das ist der Antwortsatz aus dem 1. Johannes-Brief auf die Geschichte in Bethlehem. So, wie wir sind, sind wir Kinder Gottes.

Als Gottes Kind angesprochen zu werden, ist schon ungewöhnlich, wo ich doch, wenn ich ehrlich bin, nicht immer so ganz gottgemäß lebe. Ich versuche es, klar, aber wie jeder Mensch bin und bleibe ich Mensch: ich irre, ich strample mich ab, kämpfe gegen die Widrigkeiten, hoffe und liebe, vergesse aber auch Dinge und Menschen und verdränge, wo es an mir gelegen hat. Und manchmal verletze ich auch.

Jeder Mensch ist in sich oftmals kein Engel oder Heilige, auch kein kein Teufel, irgendetwas dazwischen. Diesem Menschen, nicht nur dem Sohn Gottes, gilt die Anrede »Gottes Kind«. Und wir sind es auch, so ist das gemeint! Mit dem, was wir an uns mögen, und mit all dem, was wir an uns nicht leiden können. Mit dem, was uns gelingt in unserem Leben, und mit all dem, woran wir, vielleicht immer wieder, scheitern.

Ist denn das alles wahr, Wirklichkeit, hat sich denn wirklich etwas verbessert? Was feiern wir denn da eigentlich auch noch am Tag danach?

Ja, wir bleiben auf dem Weg. Mein Leben ist noch nicht abgeschlossen, es kann vieles passieren, vieles was ich mir wünsche, vieles, was ich gerne vermeiden würde. Kind Gottes zu sein begleitet mich als Ahnung, zu Gott zu gehören, das versuche ich zu glauben, daraus meine Hoffnung wachsen zu lassen. Es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden, heißt es bei Johannes.

Vielleicht bedeutet dieses Kindsein ja, dass ich offen bleibe, dass ich akzeptiere, dass ich noch im Werden bin, und dass Gott noch einiges mit mir vor hat, hier in dieser Welt und dann in seiner. Kind Gottes sein meint: Ich bin noch nicht fertig – mit meinem Leben, mit meinem Glauben. Noch ist nichts fertig. Noch ist nicht heraus, was aus mir wird. Aber es soll gut werden, soviel ist sicher.

Das Schöne an diesem Weg ist, finde ich, dass wir ihn nicht allein gehen. »Seht, welch eine Liebe hat uns Gott erwiesen, dass wir Kinder Gottes heißen – und wir sind es auch!«

Dieser Weg ist zart und er ist bitter. Aber seit dieser besonderen Geburt lässt er sich anders gehen, weil an jedem Punkt Hoffnung mitschwingt. An jedem Punkt! Dieses Neugeborene lässt spüren, wie bewahrt das Leben ist, wie bewahrt mein Leben ist:

Nichts ist selbstverständlich auf dieser Welt – und doch werden wir was sein - schreibt Johannes. Wir wissen aber: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

Und das ist ein unverdientes Glück, ein bleibendes Geschenk, auch nach der Heiligen Nacht diesen Platz bei Gott zu haben, sehen zu können, wie Gott ist.

Was feiern wir, wenn wir Weihnachten und jeden Tag danach feiern? Wir feiern, dass wir unterwegs sind. Seit dieser Nacht der Nächte. Wir feiern, dass wir als Menschen Zukunft haben. Und wir feiern auf diesem Weg das Geheimnis des Lebens: dass wir nicht nur geduldet, sondern dass wir gewollt sind.

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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