Gottesdienst Predigt 28.10.2018

 

Predigt zu Römer 7,14–25a – Pastor Henning Hinrichs

 

 

 

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

nach einem arbeitsreichen Tag sitzt Helga C. zu Hause allein. Vielleicht lebt sie allein, vielleicht ist ihr Mann auch einfach nur wieder dienstlich unterwegs. Sie weiß, was gut für sie wäre. Sie sollte ein gutes Buch lesen, oder zu ihren Freunden in der Nachbarschaft gehen, die schon lange auf ihren Besuch warten. Aber da ist dieser kurze Moment, in dem sie nur schnell die Tagesschau anschaltet. Und wieder bleibt sie am Fernseher hängen, zappt sich mehrere Stunden durch alle möglichen Programme, ohne eigentlich etwas richtig zu sehen. Wenn sie dann gegen 23 Uhr aufsteht, hat sie das Gefühl: dieser Abend war verdorben. Eigentlich wollte ich doch etwas ganz anderes tun. Ich weiß doch, dass mir genau dies nicht guttut. - Und sie weiß auch, dass es nicht das erste Mal ist und nicht das letzte Mal sein wird.

Ach, man müsste mal! – Kennen Sie diesen Satz von sich? Es ist ein Ausspruch, der voraussetzt, dass man das, was man müsste, selbst nicht zu realisieren im Stande ist. Irgendwas scheint es zu geben, das einen hindert, genau das zu tun, was einem der Verstand, die Einsicht oder das Gewissen sagen. Wie gut wäre es, wenn es gelänge, etwas zu ändern, sich zu ändern, den Lebensstil, das eigene Verhalten, Gewohnheiten, den Umgang mit Mitmenschen, mit der Umwelt. Ja, das wäre toll, es wäre so gut. Und dann geht es doch wie gewohnt weiter.

Woran liegt das?

Um diese Frage ringt der Apostel Paulus im heutigen Predigttext. Denn er kennt es von sich. Er schreibt: Ich verstehe selbst nicht, warum ich so handle, wie ich handle. Denn ich tue nicht das, was ich tun will; im Gegenteil, ich tue das, was ich verabscheue… Obwohl es mir nicht am Wollen fehlt, bringe ich es nicht zustande, das Richtige zu tun. Ich tue nicht das Gute, das ich tun will, sondern das Böse, das ich nicht tun will.

So absolut, so selbstquälerisch fällt es schwer, Paulus zuzustimmen. Manches gelingt ja doch, auch Gutes. Aber fügen Sie mal ein „immer“ ein, dann passt es plötzlich auch auf mich, vielleicht auch auf Sie, auch Euch? Denn ich tue nicht immer das, was ich tun will; im Gegenteil, ich tue auch das, was ich verabscheue… Obwohl es mir nicht am Wollen fehlt, bringe ich es nicht zustande, immer das Richtige zu tun.

Es geht hier nicht um mal Gutes oder mal nicht so gutes, vielleicht auch mal sogar Böses tun. Nicht um die Oberfläche. Es geht für Paulus viel tiefer: Er stellt die Frage nach unserer Natur. Sind wir Menschen von Natur aus in der Lage dauerhaft friedlich und liebevoll miteinander umzugehen? Könne wir gut mit uns umgehen? Was bestimmt uns im Innersten, und gibt es Hoffnung für uns, und wenn ja, wie könnte die aussehen?

Das klingt jetzt vielleicht wie Fragen, die man an der Uni und in philosophischen Büchern interessiert debattiert, aber sie haben eine ganz praktische Seite, eine, die wehtun kann. Helga C. jedenfalls merkt das jeden Abend, wie niedergeschlagen sie ist, dass sie wieder nicht vom Fernseher weggekommen ist. Sie ahnt vielleicht, dass es immer so weiter gehen könnte.

Den christlichen Gemeinden Roms hat Paulus mit der Beschreibung seines Dilemmas, das Gute zu wollen, aber Schlechtes zu tun, aus der Seele gesprochen. Weil sie genau das an sich selbst beobachten konnten. Sie lebten in Rom als ungeliebte Minderheit, man verlangte von ihnen etwa, den Kaiser als einen Gott zu verehren. Ihr christlicher Glaube kannte aber nur den einen Gott, der Kaiser war für sie nur ein Mensch. Verweigerten Sie die Kaiserverehrung, bedeutete das den Tod, folgten sie ihr, verrieten sie Gott und sich selbst. Es gab kein aufrichtiges Dazwischen: entweder dem Gesetz des Kaisers oder Gottes zu folgen. Manche werden aus Angst dem Kaiserkult oberflächlich gefolgt sein, obwohl sie wussten, dass es falsch war.

Das Leben ist ja voll von Situationen, wo man weiß, was richtig ist, und sich doch nicht traut, das Richtige zu tun. Abends im Bus, wenn Leute angepöbelt werden – wegschauen, still sein. Lebensversicherungen selbst Senioren andrehen, auch wenn sie 168 Jahre werden müssten, um davon zu profitieren, weil mein Arbeitgeber es verlangt – und ich mache mit, weil ich die Anstellung doch brauche.

Ich habe von einem gelesen, der zwei Jahre in der der Justizvollzugsanstalt verbringe musste. Er schrieb: „Sie können sich das nicht vorstellen, wie das im Knast so ist. Du gehst da rein und willst eigentlich schauen, dass du dir nichts zu Schulden kommen lässt, weil du so schnell wie möglich –am besten wegen guter Führung - wieder rauskommen willst. Ich sag Ihnen: So einfach ist das nicht. Da herrschen ganz eigene Gesetze unter den Knackis. Und wenn du da nicht mitspielst, dich nicht einklinkst, dann bist du das totale Opfer, dann machen die dich fertig mit allen Mitteln, die es gibt. Du musst zeigen, dass du dich kräftemäßig behaupten und durchsetzen kannst. So läuft das im Knast. Das ist das System. Du willst das so gar nicht. Dein Verstand sagt dir was anderes, als wie du dich verhalten musst, um irgendwie zu überleben“

So wie in dem Bericht aus dem Gefängnis das Gesetz des Knastes herrscht, das die eigenen Fähigkeiten und Wünsche einschränkt, bestimmt, so versteht es Paulus auch, Er nennt es nur anders, er nennt es „das Gesetz der Sünde“. Ich habe es an dieser Stelle schon häufiger beschrieben, also noch einmal. Mit Sünde ist nicht die einzelne schlechte Tat gemeint, sondern Sünde ist die Trennung von Gott, dass wir Menschen sind, die nie nur nach Gottes Willen handeln können, nie nur das Gute tun können, sondern immer hin- und hergerissen werden zwischen unseren berechtigten und unberechtigten Bedürfnissen und Gefühlen, zwischen unserer Stärke und Schwäche, unserer Kraft und Anfälligkeit. Und das führt, ob wir das wollen oder nicht, zu Konflikten, zu Gewalt, für Paulus ist sogar der Tod ein Zeichen dieser Trennung von Gott.

Und das gilt immer, lässt sich niemals abschütteln. Habe ich gestern das Leben ganz gut hinbekommen, heißt es nicht, dass es heute genauso gut sein wird. Und wie wird es morgen? Manche verzweifeln an dieser Last des Lebens.

Und so könnte man in Paulus‘ depressiven Klagegesang einstimmen, wenn er weiterschreibt: Ich unglückseliger Mensch! Mein ganzes Dasein ist dem Tod verfallen. Wird mich denn niemand aus diesem elenden Zustand befreien? Wie ist es möglich, diesem Gefängnis zu entkommen, das einen nicht weiterkommen lässt, als zu sagen „Man müsste mal“? Ist es möglich von diesen tödlichen Strukturen, vom Gesetz der Sünde, wie es Paulus nennt, befreit zu werden?

Paulus beantwortet diese Frage mit einem eher erleichternd klingenden Hinweis: Wird mich denn niemand aus diesem elenden Zustand befreien? Doch! Und dafür danke ich Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn. Für ihn ist damit alles gesagt. Weil ihm und jedem Christen, der das glauben kann, durch Jesus Christus Gottes frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt geschenkt wird. Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um mich von der Sünde, der Trennung von Gott zu befreien. Jesus ist meine Brücke zu Gott. Und damit wird für mich alles möglich. Natürlich, ich bleibe Mensch, es bleiben Bedürfnisse, Krankheit und Tod, aber ich brauche mich davon nicht bestimmen zu lassen. Gott liebt mich, er kommt mir nahe, er befreit mich.

Für viele Menschen heute ist das vermutlich kein hilfreicher und schon gar kein befreiender Hinweis. Das ist ja erst einmal nur eine Behauptung: Gott in Jesus Christus macht dich frei. - So so, nun ja. Und solche Euphorie und Sicherheit sind ja auch kaum übertragbar. Und wie soll das gehen mit Jesus? Kann man das spüren? Oder durch irgendetwas herbeiführen? So wie man eine Tablette nimmt und dann sind die Kopfschmerzen weg, oder drei Pils und vier Korn trinkt und dann sind die Probleme ... nicht weg, aber wenigstens im Nebel betäubt? Und für solch eine dumme Betäubung halten die Kritiker ja auch den Glauben, Opium für das Volk.

Vielleicht lohnt der Blick auf diesen Jesus Christus, der so überzeugend für Paulus ist. Mit all seinen Worten und Taten, wenn er Menschen geheilt hat, wenn er von Gott gesprochen hat, die Vertreter von Religion und Staat provoziert hat, wollte er die Menschen aufwecken, ihnen die Augen öffnen dafür, wie sehr sie von anderem bestimmt werden, und wie wenig das mit Gott zu tun hat, sondern mit Trägheit, Eigennutz, Machtstreben oder Geld – Paulus würde sagen: mit dem Gesetz der Sünde – aber nicht mit Gott. Und dieses kritische, entlarvende und immer wieder Menschen befreiende Handeln und Reden Jesu führte ihn ans Kreuz. Denn so einer stört die Trägheit, den Eigennutz, das Machtstreben oder Geld.

Und dann, so der christliche Glaube, wurde dieser Jesus Christus vom Tode und damit gegen die Gesetze der Trägheit, des Eigennutzes, des Machtstrebens oder Geldes auferweckt. Und das heißt ja: Er hatte Recht. Dieser Jesus hat geredet, was Gott will, was er uns gesagt hatte, seine Befreiung, sie stimmen. Jesu Auferstehung ist Ausdruck des Widerstands gegen das Gesetz der Sünde.

Wer an Gott glaubt, versucht sich von ihm bestimmen zu lassen, von der Liebe, vom Guten, von der Hoffnung. Darin ist für Christen die tiefe Liebe zu einem guten Leben, zum Menschen, zur Zukunft dieser Welt verwurzelt. Es gibt einen Grund, es immer wieder zu versuchen. Daraus schöpfen viele die Kraft, die sie nichts verloren geben lässt, die einem den langen Atem gibt, die einen aufrecht erhält, immer wieder von neuem die kleinen Schritte der Befreiung zu beschreiten.

Es beginnt damit, sich aufwecken zu lassen, sich ansprechen zu lassen von einem, der Recht hatte! Wahrzunehmen, wo etwa die Trägheit bei mir sitzt.

Der zweite Schritt ist, vom „Man müsste mal“ zum „Jetzt mach ich mal“ aufzuerstehen. Und nehmen Sie dabei Gott mit ins Boot. Erzählen Sie ihm davon. Sie werden sehen, dass es leichter ist mit Verbündeten, Verbündete unterstützen und verpflichten. Mit anderen kann man die Hürden viel leichter überwinden

Und dann der dritte Schritt: Tun Sie es!

Wird mich denn niemand aus diesem elenden Zustand befreien? Doch! Und dafür danke ich Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Und der Friede Gottes, der größer ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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